Nachfolge in Unternehmen - Interview mit dem Ökonomen Birger Priddat

"Idealismus ist kein Geschäftsprinzip"

17. Oktober 2016
von Börsenblatt
Generationswechsel in Unternehmen laufen selten reibungslos – da macht die Buchbranche keine Ausnahme. Woran Nachfolgeprozesse scheitern und was Geld dabei für eine Rolle spielt: Ein Interview mit Birger Priddat, Ökonom und Philosoph an Uni Witten/Herdecke.

Familienunternehmen bekommen viel Lob. Sie seien das Rückgrat der Wirtschaft, heißt es bis hinauf zu Angela Merkel, würden krisenfester planen und auch auf eine bessere Atmosphäre in der Firma achten. Sind sie wirklich die Kehrseite der Medaille?
Das haben sie gut hingekriegt, diesen Mythos – natürlich ist das nur halbwahr. Weil ein Unternehmen nicht auf Vierteljahresabschlüsse hin getaktet ist, bedeutet das nicht automatisch, dass die Kultur hier auch besser ist. Eigentümer herrschen ja auch, und das ist nicht immer das Freundlichste.

Sie teilen das Lob also nicht?
Nicht so pauschal. Es gibt in Deutschland viele exzellente Familienunternehmen, die teilweise auch international sehr erfolgreich sind. In der Globalisierung erwischt sie die Konkurrenz jedoch auf allen Ebenen. Gerade jetzt an der Digitalisierungsschwelle werden viele Familienunternehmen scheiteren.

Was macht sie so anfällig?
Die Mentalität in Familienunternehmen ist auf Erfahrung, Kompetenz, Einsicht in die technischen Prozesse aufgebaut – und jetzt ändern sich diese Prozesse erheblich. Es sind ganz neue Mentalitäten gefragt. Beispiel: die Bindung an den Ort. Viele Familienunternehmen sind verwurzelt in ihrer Heimat, irgendwo in der Provinz. Sie haben dort eine gute Mannschaft, sind verbunden mit der Region. Bedingt durch die neuen technologischen Anforderungen reicht das aber nicht mehr – sie brauchen jetzt völlig andere Mitarbeiter, die allerdings ungern in die Provinz wollen. Also müssen bestimmte Abteilungen in die Großstädte ausgelagert werden, nach Köln, München, Hamburg, Berlin, oder eben auch nach Paris, London oder ins Silicon Valley. Das ist ein Umbruch für Familienunternehmen, der sie ins Herz trifft – die Familiarität, die in die Unternehmung ausstrahlt, wird aufgebrochen. 

Gilt das auch für kleinere und mittelständische Unternehmen, wie sie die Buchbranche prägen?
Da sehe ich eher andere Themen im Vordergrund. Digitale Bücher reüssieren nicht so, wie man sich das vor fünf oder zehn Jahren dachte, ich gehe davon aus, dass das Buch als Medium wenig gefährdet ist. Andererseits kann heute niemand sagen, wie sich die Lesegewohnheiten noch ändern. Dass sich vieles, vor allem die Bestellung von Büchern, ins Digitale verlagert, ist aber klar. Buchhändler werden sowohl in die Atmosphäre im Laden als auch in ihre elektronische Infrastruktur investieren müssen. Was sich daraus für Verlage ergibt, ist im Moment wenig einsichtig, ihr Geschäft beinhaltet in jedem Fall Potenzial – das könnte noch sehr interessant werden. Hier kommt es darauf an, welche Medien welche Lesekulturen befördern werden. Und ob nicht Bilder, Streams, Filme bedeutsamer werden; ebenso wie Spiele.

Trotzdem quälen viele Nachfolgesorgen, der Generationswechsel gelingt oft, aber bei weitem nicht immer. Warum ist das so?
Die Nachfolge ist heute nicht mehr selbstverständlich, weil die Kinder andere Optionen haben. Vor 50 Jahren war ein Unternehmersohn von vornherein auf die Übernahme gedrillt, er wurde entsprechend ausgebildet und es gab auch starke familiäre, normative Verpflichtungen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Eltern sollten mit ihren Kindern verhandeln und jeglichen Druck vermeiden. Sie müssen das Bleiben attraktiv machen – was aber wiederum schwierig ist, weil viele der guten Unternehmer nicht in der Lage sind, Verantwortung abzugeben. Hinzu kommt, dass Nachfolger heute ganz anders managen müssen – da entsteht eine Konfliktdimension, an der viele Nachfolgeprozesse zerbrechen. Da ist vor allem der alte Inhaber gefordert: Er muss eine innere Wende vollziehen. Wenn da charakterlich oder mental nichts zu machen ist, kann man sich vorstellen, wohin das führt. Solche Prozesse brauchen Coaches, vielleicht Therapeuten.

Viele Unternehmerkinder würden gern in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, stellten die Zeppelin-Universität Friedrichshafen und die Stiftung Familienunternehmen 2015 in einer Umfrage fest. Dreiviertel der Teilnehmer sagten, sie würden gern die operative Führung im Familienunternehmen übernehmen. Überrascht Sie das Ergebnis? 
Diese Untersuchung müsste man mal sehr kritisch anschauen. Ich glaube, dass viele Nachfolgerkinder so etwas sagen, aber nicht meinen.

Was raten Sie, damit der Übergang von einer Generation auf die andere gelingt?
Die Noch-Eigentümer sollen es ihren Kindern völlig frei lassen, das aber verbunden mit einer strengen Bitte: Prüft, ob ihr das wollt! Geht vorher in andere Unternehmen, die so ähnlich sind. Und wenn dann kommt: Ich will doch lieber in einem Konzern Karriere machen oder Ballett studieren – dann ist es okay. Nebeneffekt für die Kinder: Wenn sie Erfahrungen von woanders mitbringen, können sie gegenüber den Eltern ganz anders auftreten. Kompetenz ist überhaupt ein zentraler Faktor und viel wichtiger als alle Genetik. Da darf nichts verklärt werden, Familienromantik hat hier nichts zu suchen.

Wie viel Zeit sollten Senior-Chefs einplanen?
Ein Nachfolgeprozess organisiert sich nicht von heute auf morgen. Ich denke, der 50. Geburtstag wäre eine gute Wegmarke, um damit anzufangen.

Was machen Kinder, wenn ihre Eltern in der Firma nicht loslassen können?
Wenn sie klug sind, suchen sie das Weite, distanzieren sich. Und zwingen so die Eltern dazu, eine Lösung zu finden, die nicht im klassischen Familienstreit endet. Alles ist besser ist das. Sobald sich etwas verkrampft, ist eine glückliche Entwicklung nicht mehr möglich – dann ist der Nachfolger zwar da, macht dann aber die Firma kaputt, allein um dem Vater zu zeigen, dass er Unrecht hat. Das berührt ja psychologische Tiefenstrukturen – da muss man aufpassen und aufhören, bevor der Hass um sich greift.

Welche Rolle spielt bei der Nachfolge das Geld?
Kinder fragen heute sicher auch nach dem Gewinnpotenzial, stärker als früher. Idealismus lässt sich nun mal nicht verordnen – Idealismus ist kein Geschäftsprinzip.

Manche glauben, dass die Übergabe an Töchter weniger Probleme bereitet als an Söhne. Lässt sich die These halten?
Tja, worauf will man da bauen? Ich kenne keine empirischen Studien, die das belegen. Vielleicht haben sie weniger Konflikte mit ihren Vätern als die Söhne.

Birger Priddat ist Professor für Volkswirtschaft und Philosophie an der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke.

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