Starke Frauen in der Fantasy

Rebellinnen

24. Mai 2018
von Börsenblatt
Seit 30 Jahren sammelt die Phantastische Bibliothek Wetzlar entsprechende Literatur. Maren Bonacker, Leiterin der Abteilung Jugendliteratur, schreibt hier über einen Trend: Starke Frauen setzen sich auch im Fantasygenre durch.

Was auf den ersten Blick in einer "me too"-geprägten Zeit innovativ und kämpferisch zu sein scheint, steht bei näherem Hinsehen in einer uralten Tradition. Schon die Heldinnen der Gothic Novel traten mutiger auf als manche ihrer heutigen Zeitgenossinnen – und sanken dann letztlich doch in die Arme eines gut aussehenden Helden … Macht das Rebellische der Heldinnen den Reiz der gegenwärtigen Fantasy aus, oder ist es eher die bezaubernde Widersprüchlichkeit ihrer Charaktere?

Schon das Buchcover von Erin Beatys Serien­auftakt "Vertrauen und Verrat" (Carlsen, 496 S., 19,99 Euro) lässt romantische Leserinnen wohlig erschauern: Zu sehen sind die zusammengebundenen und dabei zu Fäusten geballten Hände einer jungen Frau – treffender hätte ein Bild die Doppel­gründigkeit eines Romans nicht ausdrücken können, in dem die Heldin sich bei einer Kupplerin in die Lehre begibt, um dem Schicksal, selbst verkuppelt zu werden, zu entgehen.

Hoffnungen, Sehnsüchte, Verrat und Enttäuschung sind die Erfolgsingredienzien der in einer fiktiv-historischen Welt angesiedelten Handlung, in der sich die Protagonistin gegen alle Traditionen aufzulehnen versucht, und sich letztlich doch nicht gegen die Liebe wehren kann. Grandios geschrieben und zum Dahinschmelzen schön!

Auch in Tracy Bangharts "Iron Flowers" (Sauerländer, 380 S., 16,99 Euro) haben die Frauen wenig Recht auf Selbstbestimmung. Ein sorgenfreies Leben können nur die führen, die auserwählt werden, an der Seite des Thronfolgers zu stehen – als eine unter vielen.

Die anmutige Serina wird schon von klein auf für diese Rolle vorbereitet und sie fiebert dem Moment entgegen, in dem sie dem Thronfolger zum ersten Mal begegnet. Das ist ihrer rebellischen Schwester Nomi vollkommen unbegreiflich, denn der völlige Verzicht auf freies Denken wäre ihr ein Graus.

Ihr vorherbestimmtes Dasein als Dienerin an Serinas Seite gerät jedoch aus dem Lot, als sich der Thronfolger überraschend gegen die Etikette wendet und anstelle der anmutigen Schönheit das wilde Mädchen mit dem frechen Mundwerk erwählt. Wunderbarer Ausgangspunkt für einen packenden Roman, in dem letztlich jeder der Helden gegen sein Schicksal kämpft.

Dass 17-jährige Mädchen rebellisch und eigensinnig daherkommen können, ist in Gena Showalters "Immerwelt" (ya!, 478 S., 16,99 Euro) nichts Außergewöhnliches. Trotzdem hat es mit Heldin Tenley eine besondere Bewandtnis: Sowohl die dunkle Seite der Myriad als auch die erleuchtete Seite der ­Troika kämpft darum, dass sich die junge Frau für sie entscheidet. Tenley merkt bald, dass ihre Wahl auch von den jungen Vertretern beider Reiche beeinflusst wird – und besonders der ruchlose Kilian hat es ihr angetan. 

Jugendliche Leserinnen dürfte die Geschichte ansprechen. Eingefleischten All-Age-Fantasyfans mag dagegen eine überzeugendere Weltgestaltung fehlen, die hinter den aufgewühlten Emotionen der Protagonistin leider etwas ins Hintertreffen gerät.

Wer es phantastischer mag, der findet epische Fantasy erster Güte in Todd Lockwoods Buch "Der Sommerdrache" (Fischer Tor, 654 S., 16,99 Euro). Dort bricht Maia aus dem System aus, das ihr den Umgang mit eigenen Drachen verwehrt. Sie weiß um ein getötetes Drachenweibchen und vermutet, dass es irgendwo ein mutterloses Jungtier geben muss. Zusammen mit ihrem Bruder macht sie sich auf den gefahrenvollen Weg und wendet sich damit sowohl gegen die militärischen als auch gegen die religiösen Autoritäten.

Wenn Künstler wie Todd Lockwood einen ersten Roman schreiben, bleiben die Bilder dazu nicht aus – und so lebt dieser Auftaktroman nicht nur von seinen starken Figuren, sondern auch von den zahlreichen eingestreuten Illustrationen. Ein wunderbares, neues Drachenbuch, das männliche wie weibliche Fantasyfans altersübergreifend anspricht.

Speziell für Leserinnen ab 14 Jahren empfiehlt sich ein Titel aus dem ersten Jugendbuchprogramm des Arctis Verlags. Mit "Odinskind" (Juli, 656 S., 20 Euro) eröffnet die norwegische Autorin Siri Pettersen ihre Rabenringe-Trilogie, die in eine von nordischen Mythen durchdrungene Welt führt. Dort findet die 15-jährige Hirka heraus, dass sie als Wesen aus einer Anderswelt geboren wurde – was sie völlig durcheinanderbringt. Entwurzelung, Fremdsein und Vorurteile sind hochaktuelle Themen dieses packend geschriebenen Fantasyromans, der nicht nur durch seine Heldin, sondern durch die ganze Weltbeschreibung überzeugt.

Superheldenfans freuen sich über die neue dtv-Reihe, die im Februar mit Leigh Bardugos "Wonder Woman" (dtv junior, 440 S., 18,95 Euro) eröffnet wurde und neben Batman und Superman bald auch Catwoman in den Fokus rücken wird. Mit »Wonder Woman« hat man alles, was man für einen Superheldenmythos braucht: eine Heldin, der es zum Verhängnis wird, dass sie ihr Herz auf dem rechten Fleck hat, und einen »Clash of Cultures«, der nicht nur einiges an Verwicklungen mit sich bringt, sondern auch ein guter Ausgangspunkt für Humor ist.

Hauptfigur Diana verpatzt das große Amazonenrennen, weil sie ihre Altersgenossin Alia vor dem Ertrinken rettet – ohne zu ahnen, dass diese für den Untergang der Welt verantwortlich sein soll. Um ihren Patzer wiedergutzumachen, folgt sie Alia ins heutige New York, in eine Welt, die ihr anfangs völlig fremd ist. Action, pfiffige Dialoge und die unverzichtbaren Schurken lassen die Herzen der Fantasyfans höher schlagen und eröffnen Neulingen einen Zugang zur DC-Welt der Superhelden.

Deutlich jünger ist das Zielpublikum von Jessica Townsends "Nevermoor" (Dressler, 432 S., 19 Euro), das sich bereits an Leserinnen ab zehn Jahren richtet. Morrigan ist eindeutig die rebellischste aller hier vorgestellten Heldinnen: Als sie an ihrem elften Geburtstag sterben soll, wie es verfluchten Kindern in dieser Geschichte vorherbestimmt ist, weigert sie sich und flieht stattdessen an der Seite des wundersamen, rothaarigen Jupiter North – in eine zeitlich versetzte Welt, in der der Zeitpunkt ihres Todes bereits verstrichen ist. Dieser Auftaktroman einer Trilogie sprüht vor Fantasie und ist so spannend erzählt, dass Nachwuchsrebellinnen die Fortsetzung mit größter Ungeduld erwarten dürften.

Phantastische Bibliothek Wetzlar

Die Bibliothek pflegt die weltweit größte öffentlich zugängliche Sammlung phantastischer Literatur (Science-Fiction, Fantasy, Utopien, Horror, Phantastik, Märchen / Sagen / Mythen, Reise- und Abenteuerliteratur) mit einem Buchbestand von mehr als 270.000 Titeln. Sie arbeitet als Forschungsbibliothek mit angeschlossener Akademie.

Zum Jubiläum am 25. Mai zeigt sie die Bandbreite der wissenschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Bereiche, in denen sie arbeitet und Literatur für alle Alters- und Interessengruppen vermittelt. Beim Festakt um 17 Uhr spricht der hessische Finanzminister Thomas Schäfer.

Das Symposium Wetzlarer Tage der Phantastik am 26. Mai beschäftigt sich mit dem Motiv der Bibliotheken in der phantastischen Literatur (9.00 – 18.30 Uhr), Infos unter https://www.phantastik.eu.