Antiquariat

Das Netz nagt am Image

12. Juli 2007
Redaktion Börsenblatt
Im aktuellen BÖRSENBLATT, das heute erscheint, erzählt Christoph Schäfer, Mitinhaber des Heinrich Heine Antiquariats Lustenberger & Schäfer, Düsseldorf von Bauch-, Kopf- und Herz-Plattformen und seinem Albtraum.
Sie betreiben neben dem Ladenantiquariat aktiv das Versandgeschäft. Wie haben sich die Umsatzanteile über die Jahre entwickelt? Schäfer: Dafür, dass wir erst seit 2000 im Netz mitmischen, eigentlich gut, allerdings muss man sagen, dass parallel dazu der Ladenumsatz zurückgegangen ist. Das Verhältnis liegt bei ein Drittel Internet- und zwei Drittel Ladenumsatz. Kurzum: Wir gleichen unsere Verluste im stationären Einzelhandel über die Vertriebsschiene Internet aus, die ihrerseits den Umsatz aus Listen- und Katalogversand ersetzt hat. Auf welchen Internet-Plattformen sind Sie als Anbieter vertreten? Schäfer: Mit dem Bauch beim ZVAB (das die Antiquare groß gemacht haben), weil unsere Familien essen müssen, mit dem Kopf auf der Plattform der International League of Antiquarian Booksellers (Ilab-Lila), weil die uns Antiquaren gehört und internationale Kontakte bringt. Mit dem Herzen aber bin ich bei Prolibri, das wir mit gegründet haben, weil wir meinen, dass diese Plattform notwendig war und ist, sozusagen auch als »Plan B« und um zeigen zu können, dass es anders geht. Welchen Stellenwert haben Antiquariatsmessen für Ihr Anti­quariat? Schäfer: Der Plural war in den Vor-Internetzeiten angebracht, mittlerweile ist Frankfurt unsere zentrale Veranstaltung, da treffen wir Kollegen und interessante Kunden und setzen gut um. Für mehr als eine Messe reicht unsere Zeit nicht. Wo sehen Sie die Branche in fünf Jahren? Schäfer: Mein Albtraum: Es gibt so gut wie keine unabhängigen Einzelhandelsfachgeschäfte mehr, kaum noch schöne Buchhandlungen und schon gar keine Antiquariate. Mein Wunschtraum sieht anders aus: Langsam aber stetig holen sich die Antiquare ihren Markt zurück, es gibt starke Interessenvertretungen, die gemeinsam auftreten. Es gibt Ladenneugründungen, weil der Trend wieder zum inhabergeführten Fachgeschäft geht, man hat sich schlicht die Augen an den Monitoren verdorben. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, es wird für Qualität eine Nische geben und diese Qualität wird auch gesucht. Aber leider werden wohl nicht alle Antiquariate bis dahin überleben können. Interview: Björn Biester Der Internethandel mit gebrauchten Büchern floriert. Doch in der weiten Online-Welt verwischen die Grenzen zwischen Qualitäts- und Billiganbietern. Und das, was eigentlich rar ist, wird plötzlich omnipräsent. Als im Herbst 1996 das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher mit acht teilnehmenden Antiquariaten und 20.000 Büchern im Angebot in Berlin startete, war die Entwicklung, die das Online-Geschäft innerhalb weniger Jahre nehmen würde, kaum vorauszusehen. In einem knappen Jahrzehnt hat sich das Gesicht der Antiquariatsbranche drastisch verändert. Das ZVAB, einziger operativer Bereich der Tutzinger Mediantis AG, ist in Deutschland Marktführer – täglich werden dort mehrere tausend Bestellungen abgewickelt. Mehr als 1.600 Anbieter sind hier vertreten, bezieht man das europäische Ausland und Nordamerika mit ein, sind es sogar mehr als 4.100. Weitere angebotsstarke Plattformen sind Abebooks, Amazon Marketplace, Antbo, Antiquario und Booklooker. Und es handelt sich zweifellos um ein attraktives Geschäftsfeld: Nach einer – allerdings auf einer relativ kleinen Datenbasis beruhenden – Umsatzstatistik, die das Kölner Institut für Handelsforschung im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Antiquariat im Börsenverein durchführt, lag der Internet-Anteil im deutschen Antiquariatsbuchhandel 2006 bei 55 Prozent (2004 und 2005: 48 und 37 Prozent). Der Ton wird schärfer Die Euphorie der ausgehenden 1990er Jahre hat allerdings längst einer gewissen Krisenstimmung Platz gemacht. Das Internet hat viele Konkurrenten angezogen, darunter bei einigen Plattformen auch Privatanbieter und eine Generation von reinen »Internet-Antiquaren«. Beides stellt das Selbstverständnis des althergebrachten Antiquariatshandels infrage. Wolfgang Keller beschreibt das Phänomen in seinem Pamphlet »ZVAB suckz!« (2005) in einem Bonmot: »Antiquare nennen sich stolz Antiquare und andere Antiquare verächtlich kistenschiebende Gebrauchtbuchramscher, die wiederum gereizt von rosinenpickenden Edelantiquaren sprechen. Egal, wie die wechselseitige Bezeichnung ausfällt, Bücher kommen und gehen.« Der Konflikt zwischen dem »echten« Antiquariat (bibliophil oder wissenschaftlich) auf der einen Seite und dem florierenden Gebrauchtbuchhandel auf der anderen kratzt an der Identität des ganzen Berufsstands – und an den Umsätzen der traditionellen Anbieter. Allerdings lässt sich die Branche nicht über einen Kamm scheren. Antiquare, die sich mit wertvollen Drucken des 16. Jahrhunderts, alten Naturwissenschaften, hochwertiger Originalgrafik oder Erstausgaben klassischer Literatur beschäftigen, waren von der Entwicklung insgesamt weniger betroffen. Wer kauft ein Buch im vier- oder fünfstelligen Euro-Bereich, ohne es vorher gründlich geprüft zu haben oder ohne zu wissen, dass der Anbieter vertrauenswürdig ist? Und von der Händlerseite aus gesehen: Das Geschäft mit kostbaren Büchern läuft überwiegend über Stammkunden im In- und Ausland, die marktfrische Ware erwarten, aber auch bereit sind, adäquate Preise dafür zu bezahlen. Hauptschwierigkeit ist hier die stete Nachschubbeschaffung – nicht der Absatz interessanter, gut erhaltener Bücher. Das bestätigen auch die wichtigen deutschen Buchauktions-häuser, die sich an einer Hand abzählen lassen. In diesem Segment gilt ebenfalls: Ebay und andere Online-Auktionshäuser haben nur in unteren Preisbereichen Einfluss auf das Marktgeschehen gewonnen. Die Internet-Revolution hat sich also im anonymen Massengeschäft mit günstigen gebrauchten Büchern vollzogen. Nach der eingangs zitierten Marktanalyse der AG Antiquariat sind 60 Prozent der antiquarisch gehandelten Bücher nach 1945 erschienen, wobei nicht nach Verkaufswegen differenziert wird. Eine ZVAB-Studie vom Frühjahr 2006 hat ergeben, dass der Durchschnitts-verkaufspreis für ein antiquarisches Buch im Netz zwischen 15 und 20 Euro liegt. Bei Booklooker oder Amazon Marketplace sorgt das große Angebot bei populären Titeln vielfach für Preise von unter 10 Euro – was Stichproben belegen. Der »Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt« scheint endgültig vollzogen, wie Heike Schiller in ihrer Untersuchung »Der Online-Handel mit antiquarischen Büchern und seine Auswirkungen auf den Antiquariatsbuchhandel« (2005) feststellt. Mit den obengenannten Wettbewerbsfolgen. Stark im Verbund Spät dämmerte der Mehrheit der Antiquare, was die Abhängigkeit von wirtschaftlich eigenständigen Internet-Plattformen mit eigenen Gewinnbestrebungen bedeutet: den Verlust der Mitbestimmung über einen für sie eminent wichtigen Vertriebskanal, Festlegungen bei Abrechnungsverfahren und anderen Abwicklungsmodalitäten, langfristig Anonymisierung des Einzelanbieters. Als Alternative stellt sich, wie im Sortimentsbuchhandel, der Zusammenschluss unabhängiger, meist kleinerer Firmen dar. Herausragendes Beispiel ist die 2001 begründete Genossenschaft der Internet-Antiquare (GIAQ), die seit Frühjahr 2005 unter dem Namen Prolibri eine Plattform mit heute mehr als 200 Anbietern betreibt. Hört man sich in der Branche um, ist die Sympathie für diese Unternehmung groß, auch unter traditionellen Antiquaren. Kampflos will man das Feld nicht mehr anderen überlassen. »Die Übermacht der Megaplattformen und die Strukturen des Internetvertriebs haben den Antiquariatshandel (und Buchhandel) dazu genötigt, viele Kröten zu schlucken, nur um sich über Wasser zu halten«, sagt der Berliner Antiquar Peter Rudolf, einer der Prolibri-Initiatoren: »Mit unserer Plattform haben wir versucht, ein handfestes Arbeitsmittel anzubieten, nicht nur Waren, sondern auch Perspektiven eines Berufsbildes zu vermitteln.« Trotzdem verzichtet kaum ein Antiquar darauf, Bücher auf zwei, drei oder mehr Plattformen gleichzeitig zu offerieren. Eine Abkehr von dieser zweischneidigen Praxis, die Raritäten zu virtuell omnipräsenten Titeln zu degradieren droht, ist erst in Ansätzen erkennbar. Genaue statistische Angaben zur Zahl der bestehenden Ladenantiquariate gibt es nicht. Feststellen lässt sich, dass nicht allein das Internet, sondern ebenso hohe Miet- und Personalkosten den Ladenbetreibern zu schaffen machen. Eine kleine Renaissance erleben dagegen gedruckte Verkaufskataloge, früher Hauptvertriebsmittel des Versandantiquariats. Zugleich entwickeln immer mehr Anbieter neue, visuell ansprechende Formen, um ihre Bücher zu präsentieren und Kataloge zusammen mit der eigenen Homepage, Auftritten auf Antiquariatsmessen und Plattform-Angeboten zu einem betriebswirtschaftlichen Ganzen zu verbinden. Der Spielraum für engagiertes, fantasievolles Zugehen auf Kunden ist nicht ausgereizt, ebenso wenig die Erschließung neuer Sammelgebiete. Was bringt das nächste Jahrfünft für den Antiquariats-buchhandel? Sicher den weiteren Vormarsch der Suchmaschinen, die jenseits einzelner Plattformen für eine machtvolle Lenkung der Kundenströme sorgen könnten. Welche Folgen die Digitalisierung riesiger Bibliotheks-bestände in Europa und Nordamerika langfristig für den Antiquariatsbuchhandel hat, ist dagegen kaum einzuschätzen. Wie gestaltet sich die Zukunft des individuellen und institutionellen Büchersammelns, wenn elektronische Texte jederzeit zur Verfügung stehen? Bestehen umgekehrt Kooperationsmöglichkeiten von Antiquaren und Bibliotheken? Wird der Gebrauchtbuchhandel, den der Zwischen-buchhandel, Branchenriesen wie Weltbild / Jokers (mit der jüngst verkündeten Booklooker-Partnerschaft) oder gemeinnützige Unternehmen wie Oxfam für sich entdecken, weiter wachsen? Verschwimmen die Grenzen zwischen Gebrauchtbüchern, Antiquarischem und dem, was sich einmal eindeutig als »Modernes Antiquariat« bezeichnen ließ? Der Antiquariatsbuchhandel steht zweifellos vor Ungewissheiten und Herausforderungen; viele Fragen betreffen aber direkt oder indirekt die gesamte Buchbranche, sofern sie am Fortbestehen einer bunten, attraktiven und kulturell anspruchsvollen Buchhandelslandschaft interessiert ist – in der die Leistungen des Antiquariats als ein Baustein der Buchkultur begriffen werden. Entwicklung im Antiquariatsbuchhandel 1996: Im September startet das ZVAB mit acht Antiquariaten und 20.000 Büchern 2001: Zehn Prozent aller verkauften antiquarischen Bücher in Deutschland werden via Internet abgesetzt 2001: Gründung der Genossenschaft der Internet-Antiquare (GIAQ). 2002: Im Frühjahr führt Amazon seinen Marketplace in Deutschland ein März 2005: Im März wird die GIAQ-Verkaufsplattform Prolibri freigeschaltet 2006: Erstmals überschreitet der Internet-Anteil im Antiquariatsbuchhandel die 50-Prozent-Marke Plattformen (Auswahl) www.abebooks.de www.amazon.de www.antbo.de www.antikbuch24.de www.antiquario.de www.bibliobase.de www.booklooker.de www.ebay.de www.eurobuch.com www.ilab-lila.com www.justbooks.de www.prolibri.de www.zeusman.de www.zvab.com Diesen Artikel lesen Sie heute auch im aktuellen BÖRSENBLATT Heft 28.