Interview mit Messedirektor Oliver Zille

"Unterschiedliche Interessen ausgleichen"

10. April 2019
von Börsenblatt
Buchmesse-Direktor Oliver Zille erläutert im Gespräch mit dem Börsenblatt die Neuorganisation der Messebuchhandlung und die ab 2020 geplante Freigabe des Buchverkaufs.

Die Leipziger Buchmesse 2019 ist gerade erfolgreich zu Ende gegangen; warum wollen Sie den Buchverkauf jetzt neu ordnen?
Der Buchhandel hat sich in den letzten Jahren massiv verändert, vor diesem Hintergrund gilt es, die Interessenlagen von Verlagen, Messe und den Betreibern der Messebuchhandlung auszugleichen. Wenn wir weiter eine Autoren- und Lesermesse sein wollen, müssen wir unsere Zielgruppen ernst nehmen. Und natürlich: Auch für den oder die Betreiber der Messebuchhandlung muss es am Ende ein auskömmliches Geschäft sein. Wir sind in der zurückliegenden Zeit erheblich gewachsen; die Kleinteiligkeit hat dabei deutlich zugenommen.

Ebenso wie die Konkurrenz im Konzert der Medien...
Absolut. Die Börsenvereins-Studie zum Käuferschwund hat klar gezeigt, dass die große Aufgabe, Sichtbarkeit für Literatur herzustellen, heute viel dringlicher ist als noch vor einigen Jahren. Der Druck auf die Verlage ist immens gestiegen − wir müssen als Messe dafür sorgen, dass eine bunte und vielfältige Verlagslandschaft weiterhin Bestand hat. In der Summe all dieser Überlegungen haben wir uns dafür entschieden, den Buchverkauf an der Messe neu zu organisieren. 

Warum der Teilnahmewettbewerb? Und wie gestaltet sich dann der Fahrplan für die Ausschreibung?
Der Teilnahmewettbewerb soll zunächst das tatsächlich vorhandene Interesse aus dem Buchhandel sondieren. Wir haben ihn vorgeschaltet, um sicher zu stellen, dass jede Buchhandlung, für die das potenziell in Frage kommt, sich auch beteiligen kann. Wir selbst bekommen auf diese Weise ein erstes Feedback. Nach den Regeln des Teilnahmewettbewerbs, der am 13. Mai schließt, werden dann die Ausschreibungsunterlagen versendet.

Bislang haben Sie vehement gegen die − gerade von kleineren Verlagen immer wieder geforderte − Freigabe des Verkaufs argumentiert. Woraus resultiert Ihr Meinungswechsel?
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass meine Vehemenz in dieser Frage einer gewissen Nachdenklichkeit gewichen ist? Was in der Vergangenheit richtig war, muss nicht in jedem Fall für die Zukunft richtig sein. Wir waren bislang der Meinung, dass wir mit der bisherigen Konstruktion unserer Messebuchhandlung unter den obwaltenden Marktbedingungen eine Publikumsmesse in die Zukunft führen können. Diese Marktbedingungen haben sich aber mittlerweile erheblich verändert, ein Prozess, der künftig eher an Schärfe zunehmen wird. Der Kampf in der Medienkonkurrenz wird noch drastischer ausgefochten werden, das schon angesprochene Thema "Sichtbarkeit" verlangt eher eine Bündelung aller Kräfte. Wenn wir die Messe als Leser- und Autorenmesse zum Erfolg bringen wollen, dann ist es richtig und konsequent, jetzt diesen Schritt zu gehen. Das gilt übrigens auch im Verhältnis zu anderen Wettbewerbern − seien es Messen oder Literaturfestivals.

Als Messe-Macher waren Sie immer in einer etwas unkommoden Sandwich-Situation: Die Kritik der Verlage an Konditionen und Logistik der Messebuchhandlung ist nie ganz verstummt, für die Betreiber der Buchhandlung war es stets schwierig, ökonomisch sinnvoll zu wirtschaften. Ist die Botschaft jetzt: Wir halten uns raus, sollen das die Marktteilnehmer doch unter sich regeln?
Der Eindruck täuscht. Natürlich ist der Versuch, unterschiedliche Interessen zu harmonisieren, immer eine große Herausforderung. Wir haben bei unserer Entscheidung in die Zukunft gedacht! Ich glaube, dass die bestehende Konstruktion durchaus noch ein, zwei Jahre weitergetragen hätte...

Never change a running System, wie es so schön heißt?
Ich denke daran, was in fünf oder mehr Jahren passiert. Und daran, was wir mit dieser Messe erreichen können − und müssen! Natürlich gilt es, im Frühjahr, Ermutigung für die Arbeit zu geben und den allfälligen Elan fürs Branchenjahr zu befördern. Aber bei allem berechtigten Optimismus darf man nicht verkennen, dass der Leser und Buchkäufer ein scheues Reh ist − dem man konzise Angebote machen muss. Vorausdenken hat uns bisher Erfolg gebracht, es wird auch künftig nicht falsch sein. Dass dieser Weg auch Risiken birgt, würde ich nie bestreiten. Aber ich glaube, dass es sich um ein kalkuliertes Risiko handelt. Wie ich im Übrigen auch an das Verantwortungsbewusstsein der Branche glaube, hier einen fairen Ausgleich der Interessen zu erreichen. 

Wer auch immer am Ende der Betreiber ist, braucht ein ökonomisch tragfähiges Konzept. Auf welche Weise will die Messe vom wirtschaftlichen Erfolg der Messebuchhandlung partizipieren?
Bislang gab es eine Umsatzbeteiligung, so wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bleiben. Über Zahlen möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts sagen. 

Die Freigabe des Verkaufs meint sicher nicht Wildwuchs. Welche Auflagen wird es geben − und wie sollen sie durchgesetzt werden?
Wir gehen ganz klar davon aus, dass gerade große Verlage den Buchverkauf auf der Messe mit Buchhandlungspartnern organisieren werden; der Buchhandel also nicht nur als Betreiber der Messebuchhandlung im Boot ist. Trotzdem wird es eine ganze Reihe gerade kleinerer Verlage geben, die direkt auf der Messe verkaufen. Die Auflagen sollen vor allem sicherstellen, dass unser Ziel, Sichtbarkeit für Literatur herzustellen, nicht konterkariert wird durch den Schal oder den Schnaps zum Buch. Dass wir uns natürlich das Thema "Nonbooks" besonders anschauen müssen, haben wir auf dem Schirm. Wir sind eine Novitäten-Messe, preisgebundene neue Bücher haben im Vordergrund zu stehen! Und danach werden wir die Auflagen ausrichten, die in die bis August zu formulierenden neuen Geschäftsbedingungen eingehen. Dass dieser Punkt nicht unwesentlich über den Erfolg des Umbaus entscheidet, ist uns durchaus bewusst. Ebenso übrigens wie die Tatsache, dass wir in diesem Prozess auch Kunden verlieren können.

Was passiert konkret mit Frühbuchern, die bereits für 2020 Vertrag haben − und denen die neue Entwicklung in Sachen Buchverkauf nicht in den Kram passt?
Schon aus formalrechtlichen Gründen muss gelten: Wenn sich unsere Geschäftsbedingungen ändern, nachdem sich ein Aussteller angemeldet hat, werden wir ihm natürlich die Möglichkeit einräumen, sich ohne die sonst üblichen Restriktionen aus dem Vertrag zurückzuziehen. Insofern ist es kein Risiko, sich jetzt für 2020 anzumelden.