Was bringt die Menschen dazu, tagtäglich brav ihren Job zu machen? Das Geld oder die Bestätigung, die sie in ihrer Arbeit finden?
Raible: Für viele Berufstätige ist es nicht nur die Lust an der Arbeit, die sie jeden Morgen aus den Federn treibt. Das muss man ganz klar sehen. Vielmehr ist es die Notwendigkeit, sich auf diese Weise den Lebensunterhalt zu verdienen. Von daher ist die Frage der Motivation eher relativ zu sehen.
Aber es gibt doch auch Menschen, die ihren Job lieben …
Raible: Auf jeden Fall. Es hängt sehr stark vom Beruf und dem beruflichen Umfeld ab, welches Verhältnis die Menschen zu ihrer Arbeit und zu ihrer Entlohnung haben. In altruistisch oder sozial geprägten Berufen sind andere Affinitäten zum Geld vorhanden als etwa im Investmentbanking. Das dürfte auch für den Buchhandel gelten. Dort zählen eine interessante Arbeit und Anerkennung sicher mehr als das Geld, denn die Vergütungen in der Buchbranche sind ja nicht allzu üppig. Klar ist aber, dass durch die Bezahlung die Existenz gesichert sein muss. Ob die Höhe der Bezüge jeweils angemessen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Leben, um zu arbeiten – oder arbeiten, um zu leben. Was trifft eher zu?
Raible: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Es gibt Leute, die ihren Beruf als Berufung ansehen. Sie gehen darin auf. Damit ist auch zu erklären, dass Menschen, die eigentlich nicht mehr arbeiten müssten, mit 80 Jahren immer noch in ihrem Laden stehen.
Welche materiellen Faktoren sind neben dem Geld wichtig?
Raible: Das Gesamteinkommen muss als Paket betrachtet stimmen. Dazu gehören beispielsweise auch Dinge wie Altersversorgung und Firmenwagen. Vor allem der Firmenwagen ist ein Statussymbol und zeigt: Ich gehöre zu den Führungskräften. Die Teilnahme an Fortbildungen zählt in meinen Augen nicht zum Gesamteinkommen. Sie ist eine betriebliche Notwendigkeit, die leider zu oft vernachlässigt wird.
Und welche immateriellen Anreize spielen eine Rolle?
Raible: Lob, Anerkennung und Prestige sind die zentralen Punkte, die über das Geld hinaus wesentlich sind und zu einer hohen Identifikation mit der Arbeit führen können. Wichtig sind auch Karrierechancen und Aufstiegsmöglichkeiten. Es gibt einen Punkt, von dem an Geld nicht mehr motiviert. Auch hier gilt die Theorie vom abnehmenden Grenznutzen. Man mag Leute finden, die die zehnte oder elfte Million pro Jahr noch spannend und attraktiv finden. Normalerweise ist es aber viel wichtiger, eine gewisse Position innezuhaben. Hier zählt dann auch oft der Vergleich mit den Mitarbeitern anderer Unternehmen: Verdiene ich in meiner Position mehr als jemand mit ähnlicher Stellung in einer anderen Firma?
Auch Verantwortung kann motivieren. Warum?
Raible: Verantwortung ist eine Möglichkeit des Unternehmens, Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter auszusprechen. Das hat auch sehr viel mit Vertrauen zu tun. Allerdings muss man jemanden, dem man etwa Führungsverantwortung überträgt, gezielt an seine Aufgaben heranführen und nicht einfach ins kalte Wasser werfen. Sonst kann der Schuss leicht nach hinten losgehen.
Wie kann man demotivierten Mitarbeitern den Schwung zurückgeben?
Raible: Zunächst einmal muss man herausbekommen, was die demotivierenden Faktoren sind und an dieser Stelle dann Abhilfe schaffen. Ist es der Job als solcher, der dem Mitarbeiter keinen Spaß mehr macht? Ist es das Umfeld oder sind es die Kollegen? Manche Leute haben Probleme, in großen Einheiten zu arbeiten und fühlen sich in kleinen Teams wohler. Wenn jemand jedoch komplett keine Lust mehr hat, sich zu engagieren, wird man nicht darum herumkommen, sich von ihm zu trennen.
Viele Unternehmen bieten mittlerweile eine variable Vergütung. Führt ein solches Modell zu besseren Ergebnissen?
Raible: Der Vorteil der variablen Vergütung liegt ganz klar in der Motivation. Die Mitarbeiter haben ein Ziel vor Augen – was jedoch auch erreichbar sein muss. Der Arbeitgeber kann seinen Fixkostenanteil reduzieren, wenn etwa nicht mehr 100 Prozent, sondern nur noch 80 Prozent einer bestimmten Summe fix gezahlt werden und die übrigen 20 Prozent variabel sind. Natürlich muss auch die Chance bestehen, mehr als 100 Prozent zu erreichen. Und dieses "Mehr" ist dann ebenfalls zu bezahlen.
Wie verändert sich das Gehaltsgefüge durch eine variable Vergütung?
Raible: Gar nicht, denn es muss keine Umgruppierung geben. Das ist das Gute daran; man kann die Leistungsträger nach vorn bringen, ohne etwas an den Gehaltsstrukturen zu ändern. Allerdings muss der variable Bestandteil auch eine substanzielle Zahl sein – beispielsweise ein oder zwei Monatsgehälter. Drei, vier oder fünf Prozent sind kaum zu spüren. Das ist kein Anreiz, um sich ins Zeug zu legen.
Sollten die Mitarbeiter untereinander wissen, wer was verdient, oder ist es besser, wenn das unter dem Deckel bleibt?
Raible: Hier gibt es kein Patentrezept. In manchen Unternehmen wird daraus kein Geheimnis gemacht – und alle leben bestens damit. Natürlich ist darauf zu achten, dass kein Neid aufkommt und die Mitarbeiter nicht mit ihren dicken Boni prahlen. Bei vielen Firmen wird sowieso nach Tarif bezahlt, da ist es meist offensichtlich, wer wie eingestuft ist. Wichtig ist, dass das Entlohnungssystem transparent ist und dass jeder weiß, was er tun muss, um eine Gehaltsklasse höher zu rücken.
Gibt es in Sachen Vergütung eine Branche, die besonders innovativ ist?
Raible: Nein, das hängt weniger von der Branche als vielmehr von den Tätigkeitsfeldern ab. Im Außendienst ist man da durchweg schon einen Schritt weiter.
Warum spielt das Arbeitseinkommen in unserer Gesellschaft eine so wichtige Rolle, dass sich darin der soziale Status ausdrückt?
Raible: Das Gehalt spiegelt die Werthaltigkeit der Arbeit wider. Wir sind als Arbeitsgesellschaft aufgestellt, und da ist dieser Faktor einfach wesentlich. Bei vielen Berufen, etwa im sozialen Bereich, lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, ob die Bezahlung angemessen ist.