Jeder Autor, der Lesungen macht, fragt sich: Warum tun sich Buchhändler das an? Es kostet sie Arbeit und Geld, sie haben abends die Bude voll (oder leer, was noch schlimmer ist), und sie müssen sich mit nicht immer einfachen Autoren abplagen. Dabei riskieren sie, ihre Stammkunden zu verprellen, wenn der Autor lieber aus seinen Gedichten als aus seinem Bestseller liest, sich als maulfaul oder allzu geschwätzig erweist.
Selbst wenn sich nach der Lesung eine Schlange am Signiertisch bildet auf seinen Schnitt kommt der Veranstalter nicht. Veranstaltet der Buchhändler Lesungen, um seine Buchhandlung ins Gespräch zu bringen? Da gibt es weniger riskante Strategien. Um seine Kunden an sich zu binden? Das kann er mit einem Gratis-Kaffee oder einem Gläschen Wein viel ungestörter und weniger kostenintensiv.
Wenn man als Autor lange genug über Land gereist ist, kommt man zu einer ganz anderen Antwort: Die Buchhändler wollen sich mit Lesungen an den Autoren rächen. Für die Bücher, die schwer wie Blei in den Regalen stehen. Oder für die Bestseller, die die Buchhändler ihren Kunden verkaufen müssen, obwohl sie sie für einfallslos, eitel, banal und debil halten. Oder dafür, dass dem Autor immer noch nicht das Buch eingefallen ist, das der Buchhändler verkaufen will. Das Buch, für das er diesen Beruf ergriffen hat.
Wie man zu dieser Einschätzung kommt? Durch Empirie.
Da war die Buchhändlerin aus dem hohen Norden, die dem Autor versicherte, ihr Gatte habe mittlerweile einen Kultstatus als Moderator von Lesungen. Das hörte der Autor gern sah sich dann aber mit einem Rauschebart konfrontiert, der das ausnahmsweise zahlreich erschienene Publikum mit seiner Sicht der Weltlage im Allgemeinen und der deutschen Wiedervereinigung im Besonderen so lange strapazierte, bis niemand mehr die Kraft hatte, sich auch noch auf eine schwierige Lesung einzulassen. Oder die rührige Buchhändlerin von der Mosel, die es sich nicht nehmen ließ, dem Autor sein Honorar auf offener Bühne in die Hand zu zählen und dabei nicht unerwähnt ließ, dass Lew Kopelew beim letzten Mal mehr bekommen hatte.
Noch eine Kostprobe gefällig? Der Berliner Buchhändler, der sich gastronomisch auf weit mehr Interessenten eingestellt hatte als dann kamen. Derart frustriert, begann er schon vor der Lesung seine beeindruckende Bastion Weinflaschen selbst zu trinken bis ihm die Lesung irgendwann zu lang erschien und er einfach das Licht löschte. Und dann war da noch der hessische Veranstalter (der Fairness halber: kein Buchhändler, aber ein Literaturfestivalmacher), der das vereinbarte Honorar nicht zahlte, um wie er dem verdutzten Autor mitteilte mit dessen Beschwerde das Kultusministerium zu erweichen, das ihm die Zuschüsse streichen wollte.
Diese Aufstellung erklärt so manche Exzesse beim spätabendlichen Ausklang von Lesungen. Dennoch dreht sich das Karussell weiter. Warum? Weil Autoren die Buchhändler brauchen. Sie sind ihre aufmerksamsten Leser. Ihnen kann man glauben, dass sie Bücher noch lieben bei Verlagsleuten fällt das immer schwerer. Buchhändler und Autoren sitzen im selben Boot. Es geht ihnen schlecht, aber sie machen weiter. Das verbindet.
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