Meinung

Deutschland, du hast es besser

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Logistik: Warum es angenehm ist, hierzulande Bücher zu machen. Von Jörg Sundermeier.
Wenn man sich in anderen Ländern umschaut, wähnt man sich oft im Paradies. Nicht nur des Wetters wegen. In der Belgrader Innenstadt etwa trifft der Bibliophile alle paar Meter auf einen Buchladen, dazu gibt es noch Dutzende fliegende Händler, sogar auf dem Markt kann man neben Gurken und Äpfeln auch gebrauchte Bücher erwerben. In Montenegro, an der Strandpromenade, ist es nicht viel anders. Dergleichen sieht man nicht in Deutschland, man kann froh sein, wenn der einzige Strandkiosk wenigstens einen Reiseführer vorrätig hat. In Spanien werden die Klassiker am Kiosk verkauft, und in Dublin ist ­beinahe jeder Kleingewerbetreibende ein Bücherkenner und -verkäufer. Kommt man also von einem Urlaubstrip heim, grämt man sich, weil in Deutschland das Buch nicht ganz so präsent ist. In den U-Bahnen ist viel seltener ein Buch zu sehen, in den Fußgängerzonen der größeren Städte gibt es, wenn man Glück hat, gerade mal zwei Buchläden, in Cafés sind nicht nur kaum noch Lesende zu finden, nein, auch das Zeitungsangebot ist zumeist auf eine Regionalzeitung geschrumpft. Das alles soll und muss beklagt werden. Doch andererseits haben die deutschsprachigen ­Länder einen Vorteil, um den sie die Buchhändler und Verleger der so anders bibliomanen Nationen geradezu beneiden: der Grad der Organisation des hiesigen Buchhandels. Man mag mit dem Börsenverein, mit der BAG, mit den Auslieferungen, den Buchhändlern und den Verlagen noch so hadern, wenn man sich das logistische und rechtliche Desaster in anderen Ländern anschaut, ist man vollends zufrieden. So berichtete ein Kollege aus Kiew, dass er in zähen Verhandlungen die ukrainischen Rechte für ein italienisches Buch erworben hatte, um dann verstört feststellen zu müssen, dass ein anderer ukrainischer Verleger das Buch bereits in schlechter Übersetzung auf den Markt geworfen hatte. Rechtssicherheit? Keine Chance! Ein Romancier, der eine Professur in Rom innehat, erzählt, dass sein neuestes Buch in Rom leider nicht zu kaufen sei, da es sein Verlag nicht schaffe, das Buch dorthin auszuliefern. Ein Verleger aus Kroatien wiederum berichtete, dass sein Verlag zwar eigene Vertreter habe, aber nicht jede Buchhandlung diese Vertreter empfange, da die Buchhandlungen oft zu Verlagen gehörten. Einrichtungen wie das Barsortiment oder Auslieferungen seien in Kroatien unbekannt. Deshalb seien die sehr erfolgreichen Bücher aus seinem Verlag an einigen Orten in Kroatien schwer zu bekommen. Als ich ihn fragte, wie es mit dem Im- und Export von und nach Bosnien, Serbien und Montenegro stehe, wo man ja die gleiche Sprache spreche, winkte er ab. Nein, nein, sagte er, das sei zurzeit kaum zu bewerkstelligen. Auch ein umfassendes Remissionsrecht, Ansichtsexemplare und andere Dinge sollte man in vielen Ländern lieber nicht erwarten. Hört man das, dann macht man wieder seinen Frieden mit jenen hiesigen Organisationen, die sicher manchmal auch nerven, doch insgesamt zum Wohle aller Marktteilnehmer agieren. Eine straffe Organisation ist, so lernen wir, gerade wenn es um Kulturgüter geht, wichtiger als allzu freier Handel. Leben wir beinah wie im Paradies und bemerken es nur nicht?