Diesmal war es nicht die Isarmetropole, sondern die Elbstadt Hamburg, die im Licht der Frühlingssonne lag und mit ihren glänzenden Fassaden und dem schillernden, sich überall brechenden Wasser eine außergewöhnlich reizvolle Kulisse für das 38. Seminar für Antiquare abgab. Eingeladen hatten die Hamburger Kollegen Marion Hanke, Christian Höflich, Roland Jaeger, Meinhard Knigge und Dietrich Schaper in die gastfreundliche Buchabteilung des Hauses Ketterer.
Eine spannenderes oder vielseitigeres Programm hätte man sich nicht vorstellen können: So wechselten die im Auktionshaus abgehaltenen Vorträge über deutsch-jüdische Bibliophile in Hamburg (Björn Biester), den in Hamburg tätigen Künstler und Fotografen Julius Gottheil (Rüdiger Articus) oder über die Arbeit des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Reinhart Schwarz) mit Exkursionen zu den Schauplätzen Hamburger Gelehrsamkeit.
Ein ganzer Nachmittag war der Entdeckung von Hamburgs Commerzbibliothek gewidmet, einer Gründung von Kaufleuten für Kaufleute im Jahre 1735, die als die älteste wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek der Welt gilt und im klassizistischen Arkadengebäude der Hamburger Börse untergebracht ist.
Am sonnigen Samstagmorgen traf man sich in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, wo Hans-Walter Stork mit rhetorischer Verve und reichem Detailwissen in die Sammlung der hebräischen Handschriften des Hilmar Baruch Levy einführte. Sie gehört zu den zehn bedeutendsten Hebraica-Sammlungen der Welt, für deren Erwerb Aby Warburg damals privat und anonym 9.000 Mark gestiftet hatte. Storks Kollegin Antje Pautzke referierte über Einbände der Hamburger Buchbinder, ein klar umrissenes, gut skizziertes Gebiet, das für alle Antiquare höchst gewinnbringend war zumal die in Diapräsentationen gezeigten Bücher danach auch in den offenen Vitrinen im Original bestaunt werden konnten.
Ein dritter Exkursionsort war das Museum für Kunst und Gewerbe südlich des großen Hamburger Hauptbahnhofes, das anlässlich der Sonderausstellung "Maler und Poeten. Künstlerbücher der klassischen Moderne aus der Sammlung Bokelberg aufgesucht wurde. Der Kurator Rüdiger Joppien führte durch die hier im Original zu bestaunenden Schätze französischer Buchkunst um Namen wie Picasso, Kandinsky, Kokoschka, Hans Arp, Max Ernst, Salvador Dali, Alberto Giacometti, Matisse und Miro. Zusammen mit ihrem ehrenamtlichen Kuratorenteam eröffnete die Leiterin der Bucerius-Bibliothek und Sammlung Buchkunst, Angela Graf, den Antiquaren die Möglichkeit, sich freilich mit weißen Schutzhandschuhen Schätze aus der Bibliothek selbst in die Hand zu nehmen und nach Herzenslust durchzublättern, darunter illuminierte Handschriften aus dem 12./13. Jahrhundert, Inkunabeln, Barockbücher bis hin zu modernen Pressendrucken.
Anhand der Publikationsgeschichte der Werke des Romanciers Hans Fallada erläuterte der Autor Michael Töteberg die wechselhafte Geschichte des 1908 vor 100 Jahren gegründeten Rowohlt-Verlags, der in Reinbek bei Hamburg auch zur Kulturgeschichte der Stadt gehört. Die beste Einführung in das Stadtbild gab freilich Roland Jaeger mit seinem Vortrag über "Das Gesicht Hamburgs: Die Hansestadt und ihr Hafen im Fotobuch der 1920er und 1930er Jahre. Ständige, schnelle Veränderung und mutige Gegenüberstellungen von Alt und Neu prägten und prägen auch immer noch wenn man etwa die großen Projekte der im Bau befindlichen Hafen-City betrachtet den Lebensnerv der Stadt. Einer Stadt, deren Schicksal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ein typisch deutsches, aber als bedeutende Hafen- und Industriestadt auch besonders schweres war, wie wie es Jaegers Vortrag dann eindrucksvoll anhand von Fotografien der 1940er Jahre zeigte.
Zu den darauffolgenden Höhepunkten zählte auch der Vortrag des holländischen Kollegen Frits Muller über Schifffahrt und Kartographie um 1600, in dem er die großen Schöpfer der exotischen Bilderwelt Levinus Hulsius und Theodore de Bry miteinander verglich und das Seminar am Abenteuer der großen weiten Welt teilnehmen ließ. Erleben konnten wir diesen großen, weltumspannenden Aktionsraum, zu dem die Hansestadt das Tor aufschlägt, dann in einer Hafenrundfahrt am Donnerstagabend. In Daniel Jahn hatten wir einen außergewöhnlich kompetenten Führer, der die Fahrt in der schaukelnden Barkasse bei Spritzwasser, Regen, Sturm und versöhnlich warmer Abendsonne vorbei an den größten Schiffen der Erde zu einem Erlebnis werden ließ.
Über das Programm hinaus offerierte das Organisationsteam noch eine Führung durch die im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt gezeigte Ausstellung "Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst, der sich die Seminarteilnehmer ausnahmslos anschlossen. Der Kurator Michael Philipp führte selbst mit Kenntnisreichtum und feinem Humor durch die ebenso drastischen wie schlüpfrige Darstellungen des durch Dämonen und Jungfrauen verführten doch aller Temptation widerstehenden Heiligen. Wir konnten der Verführung des Vortrags und der Ikonographie des sich über 500 Jahre entwickelnden Themas ebenso wenig widerstehen wie den Reizen der Hansestadt Hamburg, ihrer Museen, Bibliotheken und der Herzlichkeit der 'Nordlichter', die uns während des Seminars leuchtete!
Dieser Bericht von Markus Brandis erscheint in leicht veränderter Form und mit einer Teilnehmerliste auch im Juni-Heft der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat (13. Juni). Herzlicher Dank gilt Robert Schoisengeier (Antiquariat Burgverlag, Wien, www.burgverlag.com) für die freundlich gewährte Erlaubnis, eine Auswahl seiner privaten Seminarfotos verwenden zu dürfen.