Berliner Akademie der Künste

Zentrale Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
15.000 begeisterte Zuschauer am Frankfurter Römer, 30.000 in Kassel, 50.000 auf dem Königsplatz in München, 70.000 auf dem Berliner Opernplatz, dazu Live-Übertragungen im Radio – man kann nicht sagen, dass die Bücherverbrennung in aller Stille vor sich gegangen wäre.
Vielmehr hatte sie geradezu Festival-Charakter. 22 deutsche Universitätsstädte beteiligten sich an dem fatalen Spektakel; in den Tagen nach dem 9. Mai 1933 folgten in etwa 50 Städten weitere Nachahmungen der Scheiterhaufen-Aktionen. Hunderttausende Bücher, die zuvor bei landesweiten Plünderungen von Buchhandlungen und Bibliotheken gesammelt worden waren, wurden ins Feuer geworfen. Angesichts dieser Dimensionen sind es nicht bloß die nachfolgenden Schrecken der Nazi-Herrschaft, durch die das Datum seine hohe Symbolträchtigkeit erhält. Die Vorgänge selbst sind ein gespenstisches Symptom der sich installierenden Zustimmungsdiktatur. Fröhlich beklatscht ein Volk seine selbstveranstaltete geistige Entmündigung. „Literatur auf dem Scheiterhaufen – Der Geist im Feuer“ lautete der Titel der zentralen Gedenkveranstaltung, mit der die Berliner Akademie der Künste, der Börsenverein, das P.E.N.-Zentrum Deutschland und der Verband deutscher Schriftsteller an diesem Freitagvormittag an die Vorgänge vor fünfundsiebzig Jahren erinnerten. Klaus Staeck, Präsident der Akademie, hob seinerseits hervor, dass es keineswegs „ungebildete jugendliche Horden“ waren, die ihren antiintellektuellen Impulsen freien Lauf ließen. Es habe sich um eine tonangebende akademische Schicht gehandelt, die gegen „Asphaltliteratur“, „Entseelung“, „Loslösung von Blut und Boden“, den „jüdischen Ungeist“ – und wie die Stichworte noch lauteten – flammend protestierte. Bundespräsident Horst Köhler hielt eine Rede, die mehr als Gedenktagsroutine war. Die Geschichte der Bücherverbrennung, sagte er, führe die „beschämende Tatsache vor Augen, dass die ersten Institutionen in Deutschland, in denen der Nationalsozialismus die Meinungsführerschaft und dann auch, etwa in Studentenausschüssen, die Mehrheit erobert hatte, die deutschen Universitäten waren.“ Schon lange vor der Machtübernahme hatten beflissene Bibliothekare schwarze Listen des „undeutschen Schrifttums“ erstellt, auf die 1933 zurückgegriffen werden konnte. Auch wenn auf den bekannten Wochenschaubildern vom Berliner Opernplatz stets Goebbels zu sehen sei – der Propagandaminister war „nicht der Veranstalter, sondern Gastredner“, so Köhler. Die Bücherverbrennung war keine staatliche Maßnahme, keine Aktion der SA oder NSDAP. Vielmehr waren Studenten die Organisatoren. „Professoren, Dekane und Rektoren nahmen im Talar daran teil, Polizei und Feuerwehr unterstützten die Veranstaltung.“ Köhler wies auch darauf hin, dass noch 1938, gleich nach dem sogenannten Anschluss Österreichs, eine große Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz stattfand. „Es scheint, als hätte man unter einem seltsamen Zwang gestanden, das geistfeindliche Ritual unter allen Umständen nachzuholen, um zu zeigen, welche Kultur nun im Deutschen Reich zu herrschen und welche zu verschwinden habe.“ Mit einem Zitat von Peter Suhrkamp verwies der Bundespräsident auf die verhängnisvolle Kette von dem „Lustfeuer“ der Bücherverbrennung „über die Synagogenbrände bis zum Feuer vom Himmel auf die Städte“. Wer Bücher verbrennt, verbrennt irgendwann auch Menschen – das ist die etwas sentenziöse Wahrheit, die an diesem Vormittag wiederholt mahnend beschworen wurde. Tatsächlich ist dies jedoch mehr als eine im Nachhinein aus den historischen Ereignissen konstruierte Logik. Wer Bücher verbrennt, will eigentlich Gedanken ungedacht machen. Bücher sind aber nur die transitorischen Gefäße des Denkens, das in den Köpfen beheimatet ist – denen in Wahrheit der Vernichtungswille gilt. Die Buchmorde ersetzen (bis auf weiteres) die wirklichen. Wer Bücher verbrennt, schreibt ihnen allerdings auch große Macht zu; hält ihre Botschaften für so verführerisch und bezwingend, dass sich ihnen – jenseits aller Verrisse – nur mit martialischen Maßnahmen beikommen lässt. So ist es verständlich, wenn sich ein Schriftsteller wie Oskar Maria Graf darüber empörte, dass seine eigenen Werke nicht auf dem Scheiterhaufen landeten, sondern gar noch empfohlen wurden zur Lektüre. „Vergebens frage ich mich, womit habe ich diese Schmach verdient?“ Die Nazis „unterstehen sich nicht, mich auf ihre weiße Liste zu setzen, die vor dem Gewissen der Welt nur eine schwarze Liste sein kann.“ Grafs eindringlicher Text „Verbrennt mich!“ gehörte zum literarischen Begleitprogramm der Gedenkveranstaltung. Günter Lamprecht, Volker Braun, Herta Müller und Ingo Schulze lasen Gedichte und Prosa von Erich Kästner, Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Paul Zech, Hans Sahl, Theodor Kramer, Alfred Döblin und Lion Feuchtwanger - Kommentare zur Bücherverbrennung und zu den Leiden des Exils aus Betroffenenperspektive. Heute gilt es, die Lehre aus den Ereignissen zu ziehen und ihre Wiederholung zu verhindern, in einer Welt, in der Diktatoren und religiöse Fanatiker nach wie vor unabhängige Schriftsteller, Künstler und Karikaturisten verfolgen. Angriffe auf die Freiheit und Gesinnungsterror müssen zurückgewiesen werden. Der Bundespräsident betonte, dass die Bundesrepublik inzwischen selbst zur Exilheimat vieler verfolgter und bedrohter Autoren geworden sei. Es sei kein Zufall, dass die Unterdrückung der Meinungsfreiheit immer wieder in der Vernichtung und im Verbot von Büchern zum Ausdruck komme. „Bücher sind die geistigen Lebensmittel schlechthin. Sie sind – wie kein anderes Medium – Symbole und Mittel von Aufklärung, von Kritik und Auseinandersetzung.“ Deswegen müsse heute dafür gesorgt werden, dass jedermann Zugang zu Büchern haben könne. So schloss der Bundespräsident mit einem schönen Appell und Versprechen: „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere öffentlichen Bibliotheken angemessen ausgestattet und in Stadt und Land ausreichend präsent sind.“