Interview mit der Bildungsdirektorin des Börsenvereins

"Der Run auf gute Azubis hat begonnen"

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Gute Nachrichten für Jugendliche: Aufgrund der guten Konjunktur soll es laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag Ende September zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder mehr Lehrstellen als Bewerber geben. Für den Buchhandel heißt das, dass er es schwerer haben wird, an geeignete Azubis heranzukommen. Ein Interview mit der Bildungsdirektorin des Börsenvereins, Monika Kolb-Klausch.
Auf welche Veränderungen muss sich der Buchhandel einstellen? Kolb: Von den Prognosen her haben wir es schon länger vorhergesehen. Nun haben wir erstmals mehr Ausbildungsplätze als Bewerber, und jetzt werden wir es auch spüren. Wir haben derzeit eine recht gute Konjunktur, und das bedeutet: Der Run auf gute Azubis hat begonnen. In vergangenen zwei Jahrzehnten hat man bevorzugt Abiturienten als Auszubildende eingestellt. Werden künftig wieder verstärkt Realschüler gesucht werden? Kolb: Nicht nur im Buchhandel, sondern in vielen Ausbildungsberufen hat man sich stark kussiert auf die Abiturienten – sie waren eben älter, hatten eine andere Reife, man erhoffte sich mehr Intellekt und Qualifikation. In Zukunft werden die Unternehmen viel bewusster eine strategische Entscheidung treffen müssen: Nehme ich einen Top-Abiturienten und verliere ihn möglicherweise nach der Ausbildung wieder, weil er woanders und mit einem Studium bessere Aufstiegschancen hat? Oder entscheide ich mich für einen Realschüler, den ich gut ausbilde und auch mit Hilfe von weiterqualifizierenden Maßnahmen halten kann. Egal wie – der Wettbewerb um die Azubis wird sich härter gestalten. Wird die bislang nicht sonderlich verbreitete Nachqualifizierung einen Boom erleben? Kolb: Andere Branchen haben sich schon längst überlegt, wie sie Mitarbeiter möglichst rasch und qualifiziert und wertschöpfend in den Arbeitsprozess integrieren können. Auch bei uns wird die Nachqualifizierung - sogenannte Personalentwicklungsmaßnahmen - mehr Beachtung finden, weil man damit sehr gezielt die Mitarbeiter für bestimmte Aufgaben und Funktionen entwickeln kann. Kein Mensch bringt beim Eintritt in eine Unternehmen alle Fähigkeiten und Kenntnisse mit. Ich möchte davon wegkommen, dass man Nachqualifikation als Beseitigung eines Defizits sieht, sondern als eine Investition in das eigene Unternehmen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Wie werden die Buchhandlungen und Verlage Ihrer Meinung nach jetzt vorgehen? Kolb: Wenn sie einen qualifizierten Personalbestand haben wollen, werden sie Personalentwicklungspläne gestalten; einige haben sich schon dazu entschlossen. Bislang hat man zu wenig in die Weiterqualifizierung der Mitarbeiter investiert, sondern eher gefragt: Lohnt sich das denn? Das wird auch ohne Seminar etc. gehen, kostet ja nur. Auf längere Sicht bedeuten die aktuellen Zahlen, dass es nicht nur einen Azubimangel, sondern auch einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geben wird, oder? Kolb: Die Berechnungen sind in der Tat dramatisch! Und nicht langfristig – schon mittelfristig wird es diesen Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geben. Ende 2007 hat die IHK Frankfurt alleine im Raum Frankfurt bereits 45.000 offene Stellen für Fachkräfte festgestellt. Und dies quasi quer durch die gesamte Spektrum der Berufswelt.