Glosse

Jeder Tag beginnt mit einem Kalenderblatt, oder mit zweien ...

24. Juli 2015
Guido Heyn
Dabei fing alles so harmlos an. Um meine Sprachkenntnisse ein wenig aufzubessern hatte ich mir einen Englisch-Abreißkalender geholt. Dabei dann gesehen, dass der Spanisch-Kalender auch sehr günstig war und ich mich doch damit auf den bevorstehenden Urlaub mit meiner Freundin vorbereiten konnte... Guido Heyn über seine Sucht nach Abreißkalendern.
Zumal sie sich bisher vergeblich mühte, mir das Spanische näherzubringen. So könnte ich sie dann im Urlaub vielleicht ein wenig überraschen, wenn ich mein Essen fließend bestellen oder mich an der Rezeption über die garantiert wieder defekt sein werdende Klimaanlage im Hotel mit spanischen Kraftausdrücken beschweren würde – so stellte ich mir das zumindest vor. Beim Bezahlen dieser beiden Kalender sah ich an der Kasse dann noch die Stapel mit den Duden- und Sudoku-Kalendern. Also nahm ich die dann auch gleich noch mit. Tja, so kam ich langsam auf den Geschmack. Vielleicht leide ich ja auch an einer Art Komplettierungswahn, jedenfalls bei Buchreihen ist das bei mir so, dass ich eine Reihe dann auch gefälligst komplett haben muss, bevor ich wieder ruhig schlafen kann. Und bei diesen blöden Abreißkalendern erging es mir ähnlich. Kaum eine Mittagspause verging, in der ich nicht in der Buchhandlung meines Vertrauens bei den Kalendern stöberte. Aber es ergab ja alles so einzeln für sich gesehen auch Sinn. Zum Beispiel was meine Bildung betrifft, denn, was etwa Geschichte angeht, bin ich eine Niete. Da ist es doch nicht verwerflich, diese Scharte mit Wissentests aus »Chronik – Was war am ...?« auszumerzen. So gesellte sich Kalender um Kalender zu meiner Sammlung. Als ich dann auch noch meiner esoterischen Ader Tribut zollte und mir »Das Mondjahr« holte, kam es zu einem kleinen Disput mit meiner Freundin. Sie hatte kein Verständnis mehr für meinen bis dahin schon recht ansehnlichen und zeitaufwendigen morgendlichen Abreißmarathon. Zum Teil musste ich ihr ja auch recht geben, es stresste mich langsam schon etwas, und beim Aufstehen dachte ich nur noch an Rätselfragen, Weisheiten und Vokabeln, anstatt an gemütliches Kaffeeschlürfen und Geplauder mit meiner Liebsten. Aber so was hatte ich vorher schon kommen sehen und mir daher natürlich vorab »Simplify our day – Einfacher und glücklicher leben. Erleben Sie jeden Tag ohne Ballast« von Werner Tiki Küstenmacher und »365 Tipps für weniger Stress im Alltag« von Kurt Tepperwein geholt. Sie halfen nur leider nicht. Von wegen, weniger Stress, ha, dass ich nicht lache. Wie denn auch, wenn ich vor lauter Kalenderblättern kaum noch zum Arbeiten komme – Teile meiner Kalendersammlung hatte ich zwecks Haussegen-Entlastung zur Arbeit mitgenommen –, zu Hause Stress mit meiner Freundin habe und auch schon von den blöden Kalenderblättern träume, und das zweisprachig, Englisch/Spanisch. Außerdem versuche ich in letzter Zeit in Gedanken die Ziffern auf meinem Handy so anzuordnen, dass es der Sudoku-Ordnung entspricht. Um mein holdes Weib zu besänftigen, legte ich ihr halt abends immer liebevoll ein Blatt von »Liebe ist ...« auf den Nachttisch. Nun ja, das jeden Tag zu tun war wohl doch zu viel des Guten. Jedenfalls fand ich die Blätter zerknüllt und wohl ungelesen in meinem Bett wieder. Hey, was sollte das denn, so aggressiv kannte ich sie ja gar nicht. Aber zum Glück habe ich für solche Situationen ja auch den richtigen Abreißkalender: »Gelassen leben - 366 Anleitungen zu Glück und Erfolg«. Aber wie denn, verdammt noch mal, wenn man sich tagtäglich durch diese ganzen Abreißkalender kämpfen muss ...