Ja, wir wissen es und bekommen es von vielen allwöchentlich erzählt: Bestsellererfolge entstehen durch ausgeklügelte Marketingstrategien, durch PR-Feldzüge, die mit der Qualität der Inhalte oft herzlich wenig zu tun haben. Fernsehprominenz, Sex, Hitler das sind die Bausteine, die man für ein solides Verlagshaus braucht. So heißt es, und es wäre fatal, wenn man nicht einräumen würde, dass die Bücherwelt immer häufiger so gestrickt ist. Wir ertragen es folglich tapfer, wenn die Krawallmaschinen angeworfen werden und wir uns mit einem Mal für Jonathan Littell und seine kräftig gewürzte Lebensgeschichte eines SS-Offiziers zu interessieren haben. Oder für den neuen Feminismus der Charlotte Roche, die das Problem rasierter Achseln zu einem revolutionären Thema macht und das Wort »Analfissur« in den Sprachschatz ehrbarer Hausfrauen und seriöser Bankdirektoren einfließen lässt.
Manchmal freilich geschehen Dinge, die mit diesen Kalkülen nichts zu tun haben. Manchmal kommen Bücher ohne Aplomb ganz nach vorne, allein mit der leisen Kraft eines unspektakulären Erzählens wie bei Siegfried Lenz schmaler Novelle »Schweigeminute« zum Beispiel, wo selbst im Erotischen eine besänftigende Dezenz regiert. Und immer wieder gelingt es Büchern, sich aus den hinteren Reihen der Verlagskataloge nach vorn zu arbeiten, Büchern, die im eigenen Haus unterschätzt wurden und die sich unmerklich in die Herzen der aufmerksamen Erstleser eingraben.
Dann genügt es, ein Gespräch mit Buchhändlern zu führen und nach den Glanzlichtern der Saison zu fragen, nach jenen Trouvaillen abseits der Mainstream-Highways ..., und schon erhält man Geheimtipps zugeraunt, begleitet von einem glückseligen Augenblitzen, das nur leidenschaftliche Leser zustande bringen. Wochen, Monate später hat sie funktioniert, die nicht zu steuernde Mundpropaganda, zuerst unter Buchhändlern (»Hast du das schon gelesen?«), dann unter Lesern bis am Ende sogar Literaturkritiker die Zeichen der Zeit erkennen.
Wie war das damals etwa mit Pascal Merciers »Nachtzug nach Lissabon«? Wie wurde daraus ein Best- und Longseller? Durch halbseitige Anzeigen in »Spiegel« oder »Brigitte«? Durch Reich-Ranicki-Zitate und schwärmerische Rezensionen in den Feuilletons? Oder nicht eher durch Flüsterempfehlungen, die einen zuvor nur Insidern bekannten Autor stapelweise in den Eingangsbereich der Buchhandlungen katapultierten?
Gewiss, in der Freude über solche Phänomene mag nostalgische Wehmut mitschwingen, die Erleichterung darüber, dass es nicht immer opulenter Werbeetats bedarf, um zum Erfolg zu kommen wie für die neue, von mir sofort erstandene Nivea-Creme »DNAge«, die meine alternde Haut erstrahlen lässt, auf dass ich dem Foto auf dieser Seite noch lange ähnele. Bei Büchern hätten wir es bisweilen gern anders, und so scheue ich mich nicht, meinen aktuellen Flüstertipp preiszugeben: Rolf Lapperts Roman »Nach Hause schwimmen« wird so ein Langsamzünder werden, glauben Sie mir. Nicht auf der Autobahn des Bestsellermachens, sondern auf den labyrinthischen Seitenstraßen der Leserzustimmung. Auch diese Wege führen nach oben.
Welches ist Ihr aktueller Geheimtipp? Und warum?