Als mir die Berliner Humboldt-Universität antrug, einmal systematisch zu untersuchen, wo eigentlich die 78 DDR-Verlage und ihre Rechte abgeblieben sind, sagte ich spontan zu, denn es interessierte mich selbst. In meinem Kopf hatte ich die Vorstellung, dass unter neuer Eigentümerschaft zwar nicht alle Verlage erhalten werden konnten, aber doch zumindest die Mehrheit mit verkleinerter Mannschaft und verändertem Profil noch aktiv ist.
Tatsächlich stieß ich zunächst auch auf 44 Firmen, die so hießen wie früher. Doch bei näherem Hinsehen veränderte sich der Anfangsbefund. Nach Prüfung in der Deutschen Nationalbibliografie, welche davon eigentlich noch Bücher herausbrachten, reduzierte sich die Zahl schon mal auf 25. Schaute man gar danach, ob es sich hierbei um eigenständige Firmen handelte oder eher um Redaktionsbüros westlicher Mutterhäuser, schrumpfte die Zahl auf 17. Nun wollte ich es genauer wissen. Ich schaute mir die Handelsregisterauszüge an, ging in die einschlägigen Archive und befragte die Beteiligten. Am Ende stellte sich heraus, dass fünf von den 17 bereits Konkurse hinter sich hatten und nur noch als Namenshüllen fortbestanden. So waren es noch zwölf. Wenn nun durch das aktuelle Aufbau-Drama noch drei weitere Verlage verschwinden sollten (Rütten & Loening sowie Gustav Kiepenheuer wären ja mitbetroffen), blieben am Ende womöglich nur noch neun übrig. Unweigerlich drängte sich die Frage auf, wie das passieren konnte.
Wie sich bald herausstellte, lag der Schlüssel wieder einmal bei der Treuhandanstalt. Zwar hatte sie nur wenige Verlage »abgewickelt« (insgesamt fünf), dafür aber die meisten Häuser unter großem Zeitdruck an direkte Konkurrenten auf dem deutschen Markt verkauft. (Von den zahlreichen ausländischen Interessenten bekam lediglich ein einziger einen Zuschlag.) Dies geschah oft für die symbolische eine Mark, wenn der Käufer versicherte, das Unternehmen mindestens fünf Jahre fortzuführen, eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern weiterzubeschäftigen und kräftige Investitionen zu tätigen. Doch da die Treuhandanstalt 1994 aufgelöst wurde, gab es in keinem der von mir untersuchten Fälle eine ernsthafte Nachprüfung, geschweige denn Sanktionen. Insofern war es leicht, Rechte und Autoren in die neuen Mutterhäuser zu transferieren und die erworbenen Firmen langsam herunterzufahren.
Besonders stach hervor, dass die rund 40 ostdeutschen Verlage, die von professionellen Kennern aus der Branche übernommen worden waren, bald weniger Titel produzierten, als die etwa zehn Verlage der branchenfremden Neueinsteiger. Und alle 50 privatunternehmerisch geführten Firmen zusammen brachten weniger Novitäten heraus als die fünf Verlage, die von staatlichen und kirchlichen Gremien geführt wurden. Welch Armutszeugnis für die Profis!
In einigen Fällen gingen Verlage ohne Bonitätsprüfung an Hasardeure, die mit den Startkrediten ins Ausland verschwanden. In wenigstens einem Fall verkaufte die Treuhandanstalt einen Verlag, der ihr gar nicht gehörte. (Die eruptiven Spätfolgen davon können wir dieser Tage erleben.)
Gab es im Börsenverein niemanden, der bei diesen Vorgängen intervenieren konnte?
Ich will einfach nicht glauben, dass es so gewollt war.