Wie kam es, dass Sie als gebürtiger Wuppertaler den hohen Norden entdeckten?
Butt: Es war eine romantische Skandinavienbegeisterung: Für die Natur und die Einsamkeit genauso wie für die Sozialdemokratie, der ich immer mit Sympathie gegenübergestanden habe. Bis in die 80er Jahre hinein glaubten wir, dass Skandinavien eine freiere und weniger hierarchische Gesellschaft ist als die unsere. In vieler Hinsicht stimmt das. Aber wenn man ans Eingemachte geht, unterscheiden sich die Gesellschaften kaum. Trotzdem gibt es vieles, was mir sehr angenehm ist. Von der politischen Korrektheit, die dort nach wie vor groß geschrieben wird, bis zur Überschaubarkeit, die gleichzeitig provinziell wie auch heimelig ist. Und schließlich war ich stark nordeuropäisch-protestantisch geprägt das hat zu Skandinavien gepasst.
Wie sah diese Prägung aus?
Butt: Meine Eltern waren sehr fromme Leute. Strenge Protestanten, die aus Bremen stammten. Anfang der 30er Jahre zogen sie nach Wuppertal, wo mein Vater evangelischer Buchhändler war. Wir sind zum Dienen geboren, nicht zum Verdienen, war sein Lebensmotto - was ich nie akzeptiert habe. Aber diese Kultur, mit der ich aufgewachsen bin, hängt mir bis heute an.
Empfinden Sie das eher als Fluch oder als Segen?
Butt: Ich finde nicht alles gut, was sich mit dieser Prägung verbindet, aber sie hat mir moralisches Rückgrat gegeben. Meine wesentlichen Werte, die ich in meinem Leben vertrete, rühren daher. Die Frage passt übrigens wunderbar zu dem Buch, das ich gerade übersetze, ein biografisches Werk von Per Olov Enquist. Darin beschreibt er, wie seine fundamentalistisch-religiöse Mutter ihn geprägt hat. Er sieht beides: Das Gute, das er von ihr bekommen hat, und das, wogegen er sich abzugrenzen versucht.
Von Enquist zu Mankell - wie bewältigen Sie in ihrer Übersetzungsarbeit den Wechsel vom einen zum anderen?
Butt: Das ist ganz einfach. Sie benutzen völlig unterschiedliche Stilmittel, an die ich auf ganz verschiedene Art und Weise herangehe. Natürlich brauche ich dazwischen Pausen. Wenn ich einen 600-seitigen Mankell nach vier bis fünf Monaten abgeschlossen habe, bin ich erst einmal leer. Dann habe ich das Gefühl, zwei Wochen lang keinen vernünftigen Satz sprechen oder schreiben zu können. Das sind die Zeiten, in denen ich das Haus neu gestalte...
Der Chinese war übrigens ein besonders schwieriges Projekt, weil wir parallel daran gearbeitet haben. Während Mankell noch schrieb, habe ich bereits Teile übersetzt. Gelegentlich kam dann eine neue Version...
In Der Chinese beschreibt Mankell sehr detailliert die dahingemetzelten Leichen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche Passagen übersetzen?
Butt: Ich habe das Gefühl, dass die schwedische Seele ein Gewalttrauma erlitten hat. Einige Autoren übernehmen dies in ihre Bücher, indem sie exzessive Brutalität darstellen. Es gibt zwei Dinge, die man dafür heranziehen kann. Da ist einerseits der Mord an Ministerpräsident Olof Palme 1986, der nach wie vor unaufgeklärt ist. Andererseits die Balkankriege in den 90er Jahren mit Ereignissen, die man gerade in Schweden nicht für möglich gehalten hat.
Die Schweden sind ein Volk, das immer an den Ausgleich, an das Gespräch geglaubt hat. Nicht an die Konfrontation. Hinzu kommt, dass wir alle nicht ganz frei sind von Voyeurismus. Mir wird jeden Morgen schlecht, wenn ich mein Internet öffne und die Überschriften auf der Startseite sehe. Manchmal ertappe ich mich selbst dabei, dass ich sie trotzdem anklicke und lese.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach den neuen Mankell aus?
Butt: Ich finde es gut, dass ein Thriller Informationen über politische Fragen enthält. Hier insbesondere die Zerreißprobe Chinas zwischen Maoismus und Kapitalismus. Es ist eindeutig, wo in diesem Buch die Sympathien liegen. In gewisser Weise ist eine Form von Apologie für einen gemäßigten Maoismus zu finden. Es ist eine Leistung dieses Buches, die Leser zu einer Reaktion herauszufordern. Mankell als guter, nordischer Sozialdemokrat hat schon immer den Kriminalroman als Vehikel für eine politische Botschaft benutzt. Ganz in der Tradition des Autorenduos Sjöwall / Wahlöö, die das Genre in den 60er Jahren begründet haben damals allerdings viel aufdringlicher.
Der persönliche Kontakt zum Autor, wie wichtig ist er für Ihre Arbeit?
Butt: Er ist von Vorteil, aber nicht notwendig. Bei Mankell habe ich nur wenige Fragen, die sich per E-Mail beantworten lassen. Bei der aktuellen autobiografischen Geschichte von Enquist gibt es viele Punkte, die wir am besten im Gespräch klären. Hier braucht man den engen Kontakt, um die Nuancen erkennen und wiedergeben zu können.
Hochschulprofessor, Verleger, Übersetzer welcher Tätigkeit gehört oder gehörte Ihre Leidenschaft?
Butt: Ich denke, ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich verschiedene Dinge tun konnte. In meiner Hochschullaufbahn hat mir die Lehre Spaß gemacht. Die Forschung dagegen war nie so mein Ding. Weil ich als Gastdozent viel herumgekommen bin, habe ich mich einmal selbst als ambulanten Skandinavisten bezeichnet. Nebenher hatte ich die Chance, als Verleger Bücher zu machen, was ich wahnsinnig spannend finde. Aber es macht süchtig. Ich habe den Absprung gefunden, als ich mit 52 Jahren das große Glück hatte, Vater zu werden. Da habe ich mir gesagt, mein Sohn hat es nicht verdient, einen von Schulden geplagten Vater zu haben. Jetzt fasziniert mich etwas ganz Neues: die Buchbinderei. Allerdings nur als Hobby.
Sind Sie noch nie in die Versuchung gekommen, selbst einen Roman zu schreiben?
Butt: Als Literaturwissenschaftler hat man gewisse Hemmungen ein Problem damit, sich dem Urteil anderer auszusetzen. Es kommt aber sicher mal irgendetwas.
Trotz aller Sympathien für Skandinavien, leben Sie jetzt in Frankreich...
Butt: Die Kultur des Mittelmeerraums, das eher genussorientierte Leben, liegt mir heute näher als die protestantische Enthaltsamkeit. Die Gegend, in der ich wohne rund 80 Kilometer nördlich von Toulouse -, ist nicht spektakulär, aber sehr schön. Und es gibt es einen guten Wein. Das Kochen ist übrigens meine weitere Leidenschaft meist mediterran, manchmal indisch. Nur die Angst davor, es jeden Tag tun zu müssen, hat mich davon abgehalten, ein Restaurant aufzumachen. Ich habe auch einmal die Essgewohnheiten skandinavischer Kriminalkommissare mit denen in Südeuropa verglichen wunderschön! Auf der einen Seite Montalban und Camilleri mit ihren ausgiebigen Beschreibungen kulinarischer Köstlichkeiten. Auf der anderen Seite Mankell, der sich in einem ganzen Buch auf Das Essen war schmackhaft. beschränkt wenn Wallander ausnahmsweise mal keinen Hamburger isst.
Zur Person
Wolfgang Butt, 1937 in Wuppertal geboren, studierte in Kiel Skandinavistik und unterrichtete bis zum Jahr 2000 an Hochschulen in Deutschland und Österreich. Im eigenen Kleinverlag brachte er zwischen 1987 und 1994 Literatur aus Skandinavien heraus. Seit acht Jahren ist Butt freiberuflich als Übersetzer tätig. Vor allem durch die Übertragung ins Deutsche der Romane von Henning Mankell, Arne Dahl und Per Olov Enquist hat sich Butt einen Namen gemacht. Seit vier Jahren lebt Butt überwiegend in Südfrankreich.