Meinung

"Die Depressions-Strategie muss geknackt werden"

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
"Verlassen Sie doch den Rahmen alten Denkens", forderte Torsten Casimir die Branche in seinem Editiorial "Vom Kommen und Gehen" (BÖRSENBLATT 25 / 2008) auf. Dazu erreichte uns ein Leserbrief von Olaf Stein, Buchhandlung Stein in Köln, der das Problematische am Umdenken aus der Sicht eines kleinen Sortimenters beschreibt.
"Das Problem aus der Sicht eines kleinen Sortimenters: Zeit ist tatsächlich Geld. Diese beiden Haupt-Ressourcen kann man gut ineinander umtauschen. Ich kann mir Zeit kaufen, indem ich Kredite aufnehme oder Angestellte bezahle, umgekehrt kann ich zu Geld kommen, indem ich Arbeitszeit investiere. Aber beides haben Inhaber kleiner Sortimente nur in sehr beschränktem Umfang. Diese Inhaber haben nicht das Problem, dass sie nicht gern neue Produkte (z.B. eBooks) oder Technologien (z.B. libreka) ausprobieren würden, sondern dass sie - zumindest subjektiv - keine Zeit und kein Geld dafür haben. Kleine Buchhandlungen haben kein Investitions-Kapital (im Sinne der Zeit-ist-Geld-Gleichung), um ihren Laden weiterzuentwickeln. Auf die Dauer leben sie also nicht nur von der Substanz (denn wer sich nicht weiterentwickelt, verbraucht sich), sondern empfinden "drohende" Neuerungen sogar als Stress, anstatt sie als Profilierungs- und Entwicklungschancen zu begrüßen. Man betitelt diese Strukturen oft als "Selbstausbeutung", tatsächlich ist es eine Depressions-Strategie. Wer in dieser Struktur lebt und nicht den Kampf aufnimmt, bekommt ein kritisch-aggressives Verhältnis zum regelmäßigen Trommelfeuer "guter Ratschläge" vom grünen Tisch. Die ewig jammernden Sortimenter hängen natürlich allen zum Halse raus. Aber letztlich muss die oben skizzierte Depressions-Strategie geknackt werden, sonst nützen alle Modernisierungs-Anregungen nichts."