Meinung

Was trennt, was verbindet?

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Leseverhalten: Zwischen Ost und West gibt es nicht nur Unterschiede. Von Karim Saab.
Auf der Sachbuch-Bestsellerliste Ost, die das »Neue Deutschland« jeden Monat ziemlich hemdsärmelig ermittelt, rangiert derzeit Eckart von Hirschhausens »Die Leber wächst mit ihren Aufgaben« ganz oben. Auf den bekannteren Sachbuch-Bestsellerlisten sucht man diesen Titel vergebens. Endlich können wir sie mit Händen greifen: die verrottete Ostseele, die den notorischen Befindlichkeits-Jammer nur noch im Suff erträgt. Der gestandene Bundesbürger hält es lieber mit der Philosophie und bevorzugt Richard D. Prechts »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?«. Doch ein Blick auf die einschlägigen Taschenbücher-Bestsellerlisten bringt das Kartenhaus auf der fast schon vergessenen Ost-West-Demarka­tionslinie zum Einstürzen. An ihrer Spitze hat sich nämlich Hirschhausens kabarettistischer Medizin-Ratgeber versteckt. Das »Neue Deutschland« kann mit seiner Bestsellerliste Ost die Mauer in den Köpfen schon längst nicht mehr nachweisen. Regionale Unterschiede lassen sich in Bestsellerlisten kaum zum Ausdruck bringen, denn beim großen Zusammenzählen gehen Besonderheiten unter. Der Verleger Gerhard Steidl hat einmal beklagt, dass die Bücher von Günter Grass südlich der Rhein-Main-Linie nur schwer verkäuflich seien. Kardinal Ratzinger erging es ähnlich im Norden. In einem föderalen Land gibt es nun mal keine gleichmäßige Durchmischung der Überzeugungen. Konfessionelle und politische Vorlieben lassen sich durchaus einzelnen Regionen zuordnen. Gibt es ihn also doch, den typischen Ost-Leser, der neben Charlotte Roche und Ken Follett auch noch zu Eva Strittmatter, Irina Liebmann und Hans-Florian Oertel greift? Ja, es gibt ihn, genau so wie den West-Leser, dem derzeit Erinnerungsbücher über die RAF und 1968 wichtiger sind. Diese Verwerfungen sind nicht weiter verwerflich, denn ohne eigene Erfahrungen wäre alles Lesen nur Spiegelfechterei. Nostalgische Gefühle haben schon so manchen Buchkauf ausgelöst. Darauf setzten auch die ostdeutschen Regionalzeitungen, als sie vor zwei Jahren gemeinsam mit Faber & Faber die Edition »Unsere Kinderbuch-Klassiker« herausbrachten. Der Erfolg war aber mäßig. Die Absatzzahlen fielen in Rostock, Potsdam und Dresden extrem unterschiedlich aus. Nicht überall, wo früher die DDR war, sind ihre Autoren heute noch konkurrenzfähig. Die Neuorientierung ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Bücher sind immer auch Meilensteine des Denkens. Vor allem Ideologen haben so ihre liebe Mühe, ihr Weltbild mit der Realität in Übereinstimmung zu bringen. Beispiele hierfür liefern Daniela Dahn (»Demokratischer Abbruch«) und Olaf Baale (»Abbau Ost«), die sich gern in unsachlicher Weise mit der deutschen Einigung auseinandersetzen und Ressentiments bedienen. Sie sind in der mysteriösen Bestsellerliste Ost auch schon aufgetaucht. Ihr relativer Erfolg in Ostdeutschland ist ärgerlich, zumal es mit Richard Schröder (»Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit«) einen sehr bedacht argumentierenden Autor gibt, der bisher in keine Verkaufshitliste vorgedrungen ist. Warum auch? Eigentlich sind doch Bestsellerlisten nur Zerrspiegel, weil der Zeitgeist in ihnen hysterische, manipulative Züge annimmt. Sie sagen lediglich etwas über die Leute aus, nicht über die Menschen, geschweige denn über den Leser. Wie groß ist die Differenz zwischen Ost- und West-Lesern heute?