Meinung

Unterwegs auf Schnäppchenjagd

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Vergriffene Werke: Manche Bücher gibt es nur noch im Möbelgeschäft. Von Jochen Jung.
Welche sind wohl die schönsten Bücherkäufe? Die, die einen richtig stolz machen? Natürlich die überraschenden, die, mit denen man nicht gerechnet hatte. Und die – das ist womöglich die einzige Schattenseite der Warenwirtschaft und des festen Ladenpreises –, die gibt es nun einmal nicht in der Buchhandlung ums Eck. Die gibt es vielmehr da, wo noch Angebot und Nachfrage den Preis des Einzelstücks variabel bestimmen. Im Antiquariat also? Möglicherweise, wenn nicht die gesuchten Stücke so gern auch so ausgesucht teuer wären. Und seit es das ZVAB gibt, schnuppern wir ja nicht mehr so oft die Regale entlang. Also auf dem Flohmarkt? Bisweilen. Aber die, die da zwischen alten Teekannen, Bilderrahmen und Aschenbechern ein paar Bücherstapel hüten, wissen meist schon ziemlich gut Bescheid. Wer allerdings Alltagsware aus dem »Dritten Reich« sucht, kann bei privaten Anbietern immer noch Funde machen, echte Grauslichkeiten aus der schlechten alten Zeit. Ich meine aber nicht das Antiquariat und nicht den Flohmarkt, ich meine jenen Ort, wo das Buch noch einen Wert hat wie kaum irgendwo sonst: Ich meine das Möbelgeschäft. Hat es nicht geradezu etwas Rührendes für den Bücherfreund, zu sehen, dass Möbelhändler immer noch ein ungebrochenes Vertrauen in Bücher als Zeichen des Edlen, Noblen und Besonderen haben? Gewiss stehen Bücher dort auch für Qualität, die nicht zu teuer ist, also ihr Geld wert. Genauso wie jene nagelneuen dunkelpolierten Regale, in denen da – bisweilen mehr locker gestapelt als gereiht – Bücher stehen oder liegen, die nun durchaus nicht nagelneu sind, eher schon etwas rostig, wenn es denn überhaupt richtige Bücher sind und nicht einfach Pappendeckel oder Zugeleimtes oder Kaufhauskataloge. Oft ist es so was. Manchmal aber auch nicht. Manchmal findet man dort etwas, was sicher keine Kostbarkeit ist, im Moment des Entdeckens aber eine wird, etwas, was irgendwer übersehen hat und was schon Freude macht, ehe man weiß, ob man es überhaupt haben darf. So ging es mir vor Tagen: ein seltsam bräunlich verquollenes Sofa, dahinter ein schräges Regal, das sich für Bücher überhaupt nicht eignete und in Wahrheit nicht einmal fürs Anschauen, egal, da lagen zwei Oktavbände, marmoriert: Eugène Sue, »Die sieben Todsünden«. Erster Band: »Hoffart«. Leipzig 1847. Ob ich vielleicht? Die junge Verkäuferin war völlig hilflos und fragte mich, was denn so etwas wohl wert sei. Ich, ganz Kunde: Nichts, oder fast nichts, vielleicht zehn Euro, höchstens, also dann, das ist sehr nett, ich danke. Und stolz ging ich davon, zwei Büchlein am Herzen. Eugène Sue, war das nicht der mit den immer wieder nachgedruckten »Geheimnissen von Paris«? Genau. Was ich da hatte, ist hingegen, wie ich jetzt weiß, auf Deutsch nie wieder aufgelegt worden. Wie schön, dachte ich dann unterm Lesen, etwas Gutes aus der Klassiker-Zeit und doch nicht aus dem Kanon, und dann: Wie schade, dass unsere Großmeister des Taschenbuchklassikers wie Insel, dtv und jetzt auch Fischer nicht noch etwas manessehafter unterwegs sind: statt noch mal Bovary, Effi und »Krieg und Frieden« vielleicht mal Unbekanntes von Ludwig Tieck, Thomas Hardy, George Sand. Und, warum nicht, Eugène Sue. Was haben Sie entdeckt? Und was sollte unbedingt wieder aufgelegt werden?