Der Amazon Kindle – große Liebe oder kurzer Flirt?

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Es ist schon recht erstaunlich, welchen Hype ein Gerät entfachen kann, das in unseren Gefilden noch überhaupt nicht erhältlich ist. Da kommen selbst renommierte Journalisten ins Schwärmen und vergessen sogar mal ihren Berufsethos, die Dinge kritisch zu hinterfragen. So gelesen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 09. August oder sogar im gestern erschienenen Börsenblatt, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Dabei möchte ich mich weder an den Spekulationen über Verkaufszahlen und Verkaufsstart in Deutschland beteiligen noch an qualitativen Beurteilungen. Wer sich an letzteres wagt, dürfte meiner Meinung nach aber nicht an den ebenso interessanten Wettbewerbern wie IREX oder Sony vorbeikommen. Mehr als die Euphorie wundert mich allerdings das Nicht-Hinterfragen des Geschäftsmodells, das Amazon mit dem Kindle in den USA bereits betreibt: Kindle und Amazon-Online-Shop sind fast zu hundert Prozent miteinander verknüpft, im Internet kostenfreie Inhalte werden kostenpflichtig angeboten und einmal über den Kindle gekaufte Bücher sind mit anderen Lesegeräte nicht nutzbar. Gerade der letzte Punkt ist höchst problematisch, denn auf diese Weise wird der Kunde auf sehr zweifelhafte Art an Amazon gebunden. Denn wer möchte seine für den Kindle erworbene Bibliothek nochmals kaufen müssen, wenn beispielweise Apple mit einem noch schöneren Lesegerät auf den Markt kommt? Gerade Apple wird dabei gerne als heimliches Vorbild genannt. Der mit dem iPod verbundene iTunes-Store hat sich nämlich über eine ähnliche Kombination in kürzester Zeit zu einem der größten elektronischen Lieferanten für Musik entwickelt. Doch der Vergleich hinkt: Während man Musik aus praktisch jeder Quelle auf den iPod laden und vom iPod zumindest nochmals auf CD kopieren kann, ist der Amazon Kindle ein hermetisch abgeriegeltes System. Selbst gängigste Formate wie Word oder PDF müssen über Amazon selbst konvertiert werden, und über den Amazon Store erworbene Titel bekommt man – zumindest mit durchschnittlichem IT-Know-how – vom Kindle nicht mehr herunter. Da stellt man sich schon die Frage, ob diejenigen, die den Kindle nun in den höchsten Tönen loben, ihre große Liebe gefunden haben oder ob die Euphorie nicht doch schnell wieder abkühlt. Ich freue mich auf Ihre Kommentare Ihr Ronald Schild