Rechtzeitig zu Goethes 259. Geburtstag konnte das Frankfurter Goethe-Museum ein überraschendes und kostbares Geschenk aus Familienbesitz in der sechsten Generation in Empfang nehmen: Goethes Porträtzeichnung seines Frankfurter Jugendfreundes Johann Jakob Riese. Am 3. April 1911 hatte Alexander Riese das Bildnis seines Großonkels in der Frankfurter Zeitung vorgestellt, danach galt es lange als verschollen. Es ist ein sehr sorgfältig ausgeführtes Blatt mit der Profildarstellung von Johann Jakob Riese (17461827), den Goethe seit seinen Kindertagen kannte. Im Gegensatz zu anderen Jugendfreundschaften hielt er die Verbindung mit Riese, der auch zu der Rätin Goethe gute Beziehungen pflegte, zeit seines Lebens aufrecht. Riese stammte aus einer angesehenen Frankfurter Goldschmiedefamilie. Nach einem Studium der Rechte in Marburg wurde Riese in Frankfurt zunächst Aktuar beim Forstamt, dann Verwalter des Allgemeinen Almosenkastens, einer Stiftung für Arme und Bedürftige. Er gehörte zum Freundeskreis der Willemers und war auch bei dem denkwürdigen Fest zu Goethes Geburtstag am 28. August 1816 Gast auf der Gerbermühle.
Viele Zeugnisse seiner Jugend, auch Zeichnungen, hat Goethe später vernichtet. Umso wertvoller ist das in Familienbesitz verbliebene Porträt Rieses, das um 1774/1775 entstanden sein muss. Es zeigt große stilistische Nähe zu dem Profilporträt des Sturm und Drang-Autors Friedrich Maximilian Klinger, das Goethe 1775 zeichnete und das sich schon lange im Besitz des Goethe-Museums befindet. Beide Bildnisse stehen unverkennbar unter dem Einfluss der physiognomischen Lehren von Johann Caspar Lavater, der in der individuellen Linienführung eines Profils den unmittelbaren Ausdruck des Charakters erkennen wollte. Goethe zählte zu den Mitarbeitern des ersten Bandes von Lavaters Physiognomischen Fragmenten, der 1775 erschien. Zu jener Zeit aber, erinnert er sich in Dichtung und Wahrheit, ging bei mir das Dichten und Bilden unaufhaltsam miteinander. Ich zeichnete die Porträte meiner Freunde im Profil auf grau Papier mit weißer und schwarzer Kreide. Ein wichtiges Dokument dieser Schaffensphase ist jetzt wieder ans Licht gekommen.