Walter de Gruyter

Killy contra Wikipedia?

24. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Im Wissenschaftsverlag de Gruyter erscheint eine zweite Auflage des Killy – eines Standardnachschlagewerks für Germanisten. Aus diesem Anlass diskutierte der Herausgeber Wilhelm Kühlmann in Berlin mit Hochschulkollegen, einem Literaturkritiker und einem Autor über Sinn und Nutzen eines solchen neuen 12-bändigen Literaturlexikons.
Die mutige Entscheidung des de Gruyter-Verlegers Klaus G. Saur, das renommierte Killy-Lexikon zu Autoren und Werken der deutschsprachigen Literatur, das bisher wirtschaftlich ziemlich glücklos im Bertelsmann Lexikon Verlag erschienen war, jetzt in einer 2., vollständig überarbeiteten Auflage herauszubringen, verlangt hohen Respekt. Denn die Risiken für den Absatz der 13 voluminösen Bände (das Register eingeschlossen) sind in den Zeiten von Google und Wikipedia nicht gerade geringer geworden, zumal der Ladenpreis pro Band knapp unter – oft aber auch deutlich über 200 Euro liegt. Zwar wird die Verfügbarkeit einer digitalisierten Version des Lexikons „in absehbarer Zeit“ in Aussicht gestellt, aber ein Hauptteil der Kosten, muss für den Verlag mit Bestimmtheit über den Vertrieb der Printausgabe eingeholt werden. Deshalb ist mit Recht nach dem besonderen heutigen Nutzen eines solchen umfassenden Wissensspeichers zu fragen, der in den alphabetisch geordneten Bänden auch um die Unterhaltungs- und Bestsellerliteratur keinen Bogen macht und ganz dicht an die Gegenwart führt. Hauptadressaten sind hier die Germanisten und Germanistikstudenten. Aber auch andere Wissenschaftsdisziplinen haben Gewinn, ebenso alle Leser, die sich für Kultur- und Sozialgeschichte im deutschsprachigen Raum interessieren, darin waren sich Literaturkritiker Lothar Müller und Autor Jacob Hein mit den Hochschullehrern einig. Für die Literaturwissenschaft würden solche Lexika mit ihrem übergreifenden Wissen - jeder Artikel auf neuestem Stand und fachlich-kompetent gesichert – gerade wegen der zunehmenden Spezialisierung in der Forschungstätigkeit sogar unverzichtbar sein, bekannte der Berliner Germanist Prof. Ernst Osterkampf. Solche Erkenntnisse seien weder über Google noch Wikipedia oder andere Wissensportale im Internet einzuholen. Deshalb „entlaste“ diese Neuausgabe des Killy deutlich die eigene Forschungstätigkeit, und sie wirke zugleich auch inspirierend, sich neuen, noch nicht entdeckten Autoren und Werken zuzuwenden. Denn auch das gehört zu den Vorzügen, die nicht durch bestehende Onlinedateien zu ersetzten sind: ein Lexikon trägt nicht nur vorhandenes Wissen zusammen, es zeigt auch weiße Flecken in der Forschung an. Gerade die Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts erweist sich heute als eine Terra incognita. Man sei auf überraschende viele Lücken in der wissenschaftlichen Aufarbeitung gestoßen, bestätigte Herausgeber Wilhelm Kühlmann. Wie Literaturkritiker oder Feuilletonredakteure und damit vielleicht auch die große Mehrheit praxisorientierter Nutzer mit dem Lexikon umgehen, ist schwer vorauszusagen, zumal, wenn es um Recherchen zur Gegenwartsliteratur geht. Welcher Autor ist nach wie viel Büchern tauglich für einen eigenen Lexikonartikel? Autor Jacob Hein, der gleich versuchte, seinen Verzicht auf einen Eintrag anzumelden, wurde auf die Urteilskraft des Herausgeberkollektivs verwiesen. Die Entscheidung muss bald fallen, denn der letzte Band soll bereits Ende 2010 erscheinen. Dennoch kennt man das alte Problem. Für Band 1 von A – Blu war der Redaktionsschluss im Januar 2008, über jähe Wendungen bei Autoren und Werk ist erst in der nächsten überarbeiteten Ausgabe zu lesen. Bis dahin muss wieder das Internet herhalten. Man wird also gut daran tun, Buch und Computer noch einige Zeit nebeneinander auf den Schreibtisch zu stellen.