Im Grunde leben wir in einer tief widersprüchlichen Zeit. Sinkende Umsätze im Online-Antiquariatshandel? Das hört man allerorten. Amateur-Anbieter, die mit ihren schlechten Büchern die Plattformen verstopfen? Das kann jeder selbst sehen. Interessiert sich morgen überhaupt noch jemand für antiquarische Bücher? Die Antwort scheint ungewiss.
Auf der anderen Seite glänzen die Buchauktionshäuser mit immer aufwändigeren Katalogen, es gibt mehr Antiquariatsmessen im deutschsprachigen Raum als je zuvor, international laufen die Geschäfte mit marktfrischer 'richtiger' Ware hervorragend (obwohl sich hier die Folgen der gegenwärtigen Finanzkrise noch bemerkbar machen könnten). Und es werden weiterhin Antiquariatskataloge verschickt, die die schlichte Geschichte vom Anachronismus dieser Vertriebs- und Werbeform als nicht ganz plausibel erscheinen lassen.
Jüngstes Beispiel ist der soeben vom Düsseldorfer Heinrich Heine Antiquariat (Stephan Lustenberger & Christoph Schäfer) ausgegebene erste Teil einer auf drei Bände angelegten Katalogserie:
Das Buch als Gesamtkunstwerk I
Deutsche Bibliophilie 18991929
Walter Gerlach (18921982), Meister der Einbandkunst-"MdE":
150 bibliophile Drucke in signierten Meistereinbänden
Dieser Auftakt ist, daran besteht kein Zweifel, ein Paukenschlag. Vorgestellt wird, so das Katalogvorwort, eine der größten Werkgruppen eines deutschen Meisterbuchbinders und -vergolders. Zielsetzung der 1923 von Walter Gerlach mitbegründeten Vereinigung 'Meister der Einbandkunst' war es, "Handwerk und Gestaltung beim Einbandschaffen lückenlos zu verbinden".
Die überwiegende Mehrheit der angebotenen Einbände stammt aus der Mitte der 1920er Jahre und wurde von Gerlach für eine einzige private Bibliothek geschaffen (der Name des Sammlers, mit dem Gerlach wohl seit etwa 1920 zusammenarbeitete, wird nicht genannt, allerdings findet sich auf S. 328 ein eigenhändiger Besitzeintrag vom Mai 1908). Alle Angebote werden ausführlich beschrieben, die Einbände jeweils mit großformatigen Farbabbildungen gezeigt. Der Katalog ist eine Augenweide, ohne irgendwie dekadent zu sein; im Gegenteil, der im Vorwort postulierte dokumentarische Anspruch wird gewissenhaft eingelöst. Die Vielfalt des erstklassigen Angebots muss jeder für sich selbst entdecken. Herausragend sind zum Beispiel ein Widmungsexemplar von Rainer Maria Rilkes "Advent" (Leipzig 1897), Philipp Otto Runges "Von dem Fischer un syner Fru" mit Originalradierungen von Marcus Behmer (Berlin 1914), Knut Hamsuns "Pan" (München 1924; im Katalog alphabetisch falsch nach Wilhelm Hauff eingeordnet) oder "Gedichte" Goethes mit Originallithografien von Max Liebermann (Berlin 1924). Stark vertreten mit ihren Drucken sind etwa die Bremer Presse, die Rupprecht-Presse und die Officina Serpentis. Ausländisches ist, mit ganz vereinzelten Ausnahmen, wie einer Heine-Ausgabe der Essex House Presse (Campden 1903), nicht vorhanden.
Zwei Folgekataloge sollen 2009 erscheinen, am Schluss wird es auch ein mehrteiliges Gesamtregister geben. Für den ersten Katalog gilt noch bis Ende 2008 ein Subskriptionspreis. Eine Katalogbesprechung erscheint im Dezember-Heft der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" (12. Dezember).