Meinung

Frankfurt oder Berlin

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Warum die Aufregung um den möglicherweise bevorstehenden Umzug des Suhrkamp Verlags in die Hauptstadt nur zu verständlich ist. Von Jörg Sundermeier.
Wir glaubten ja, in Zeiten der Globalisierung wäre die Frage nach dem Standort eines Unternehmens nur noch eine Frage von Steuervorteilen und anderen ökonomischen Erwägungen. Dass ein Weltkonzern auf dem platten Land genauso gut agieren kann wie in der Millionenstadt, hat sich bereits mehrfach erwiesen. Doch sehen wir im Augenblick staunend, dass alle Feuilletons mit Schrecken oder Schadenfreude in Richtung Frankfurt blicken. Bleibt Suhrkamp, geht der Verlag nach Berlin? Andere schauen, ebenso besorgt, nach Leipzig – was bleibt von der Verlagsmetropole, jetzt nachdem Brockhaus fort ist? Niemand hingegen sorgt sich um Berlin, wenn Eichborn, infolge eines Personalwechsels, das Berliner Büro schließt und seine Belletristikaktivitäten in der Mainmetropole bündelt. Welche Bedeutung also hat der Standort für den Verlag? Und welche Bedeutung hat der Verlag für den Standort? Dass man gute Bücher auch in Gütersloh machen kann, ist bekannt. Dennoch sehen selbst die erdverbundenen Ostwestfalen die Notwendigkeit, sich in der Hauptstadt einen repräsentativen Showroom zu halten. Ihre besten Bücher allerdings lassen sie heute in München produzieren. Belletristikverlage, so viel kann man konstatieren, brauchen, ab einer gewissen Größe, einen urbanen Raum für sich, hier werden Autoren akquiriert, werden Theaterstücke lanciert, werden die Kritiker umworben. All das ist in der Waldeinsamkeit nicht möglich, gleichwohl sind in der Abgeschiedenheit viele hervorragende Bücher publiziert worden, deren Verleger sich von den Irrungen und Wirrungen des Literaturbetriebs nicht kirre machen lassen wollten. Ein Wissenschaftsverlag dagegen bedarf zumindest einer guten Universität in der Nähe – ohne die Anbindung an die Akademie verliert man schnell den Überblick darüber, welche Thesen und Themen vielleicht schon vorgestern zur Genüge besprochen worden sind. Insofern haben Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt natürlich Vorteile, die Oer-Erkenschwick, Würges oder Grimma nicht bieten können. Dennoch ist der Verlag nicht an eine Stadt gebunden, kann unter den Städten wechseln, und, wie gesagt, sich in oder ab einer gewissen Größe auch ins Beschauliche zurückziehen, sofern er seine Kontakte pflegt. Die Welt ist dank moderner Kommunikationsmittel wirklich zusammengeschrumpft. Die Stadt hingegen, mehr noch als der kleine Ort, braucht ihre Verlage, und beileibe nicht nur ihrer Finanzämter wegen. Verlage prägen das Kulturleben einer Stadt nachhaltig, indem sie eben die Theater und Kritiker umschwärmen, ihre Autoren in den Zeitungen lancieren, Lesungen veranstalten und Kongresse fördern oder auch einfach nur die professionellen Leser, die in ihren Räumen Arbeit finden, in einer Stadt ansiedeln – die ja auch nach dem Dienst ohne Kultur nicht sein mögen. Eine Großstadt ohne nennenswerte Verlage ist keine Großstadt. Insofern kann man die oben erwähnte Aufregung in Leipzig und Frankfurt sehr gut nachvollziehen. Andererseits, das muss leider angemerkt werden, erfahren die Verlage, so sie unauffällig und leise ihre Arbeit tun, vonseiten der Stadtoberen nicht die Liebesbekundungen, die im Falle eines angedrohten Wegzugs dann schon beinahe obligatorisch sind. Das ist kurzsichtig, die Stadtoberen sollten ihre Verlage schließlich auch dann schätzen, wenn gerade einmal keine Gefahr in Verzug ist.