Online-Buchhandel

„Nur in der Nische ist noch Platz“

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Immer mehr Bücher werden per Internet gekauft. Der Online-Buchhandel war der Gewinner des Weihnachtsgeschäfts 2008 – und legt allen Prognosen auch weiterhin zu. Primus Amazon hat das vergangene Jahr offenbar besonders gut abgeschlossen, trotz Finanzkrise. Kai Hudetz, Geschäftsführer des E-Commerce-Centers Handel (ECC Handel), beobachtet den Markt seit Jahren. Im Interview mit boersenblatt.net spricht über die Rolle von Amazon, über die Vertriebschancen im Internet für kleine Buchhandlungen und die Perspektiven der Multi-Channel-Anbieter.
###WERBUNG### Angesichts der Wirtschaftsflaute reagierten viele Analysten überrascht auf die Amazon-Zahlen. Sie auch? Hudetz: Nein, ich habe ein gutes Ergebnis erwartet. Was macht Amazon so erfolgreich? Hudetz: Wichtige Trends hat das Unternehmen schon sehr früh erkannt, in puncto Kundenansprache genauso wie beim Service und beim Sortimentsausbau. Amazon ist nie stehen geblieben, hat sich permanent weiter entwickelt, hält seine Kosten im Rahmen und verfügt heute weltweit über eine sehr starke Marke. Wie wichtig ist das Preisargument im Onlinehandel heute – und wie aggressiv stufen Sie hier Amazon ein? Hudetz: Der Preis spielt eine ganz zentrale Rolle im Internethandel, gerade jetzt, wo die Preissensibilität wieder steigt. Amazon beherrscht das Marketinginstrument zweifellos, überall und in allen Varianten. Gründer Jeff Bezos hält Amazon für einzigartig. Stimmen Sie ihm zu? Hudetz: Amazon hat einen einzigartig langen Atem. Über viele Jahre hat es Jeff Bezos geschafft, den roten Zahlen zu trotzen und sein Geschäftsmodell unbeirrt durchzusetzen. Das ist zwar eine große Leistung, als einzigartig stufe ich das aber nicht ein. Der Einzelhandel verliert an Boden, der Online-Handel gewinnt hinzu. Ist das der Trend für die nächsten Jahre? Hudetz: Das wird sicher noch eine Zeit lang so bleiben. Die Expansionsgeschwindigkeit nimmt zwar ab, aber ich gehe davon aus, dass es beim Umsatz 2009 zehn Prozent nach oben geht. Je nachdem, wie sich die Wirtschaftskrise tatsächlich auswirkt, könnte der Anstieg auch noch höher liegen. Die Krise wird dem Online-Handel eher helfen, allein aufgrund des Preisarguments. Etwa 3,5 Prozent des Einzelhandelsumsatzes werden derzeit via Internet erwirtschaftet. Da ist noch Luft. Wann könnte der Zenit erreicht sein? Hudetz: Laut Forester Research werden 2012 rund 50 Prozent der Umsätze online erzielt oder online induziert. Das heißt: Das Internet setzt Kaufimpulse, gekauft wird aber im stationären Handel. Schon heute wird etwa zehn Prozent des stationären Umsatzes online induziert. Unterm Strich rechne ich damit, dass der Online-Handel in drei bis vier Jahren auf einen Marktanteil von sieben Prozent kommt. Das wird aber noch nicht das Ende der Fahnenstange sein, denn das Internet zieht immer weitere Kreise. Geht damit eine Verdrängung des stationären Handels einher? Hudetz: Damit rechne ich nicht. Gut Zweidrittel der Deutschen ist mittlerweile online, und davon hat 70 Prozent auch schon einmal online bestellt. Nach wie vor gilt aber: Jeder Kanal hat seine Vorteile und wird auch von den Kunden so wahrgenommen. Das Internet ist ein zusätzlicher Kanal, durch den zwar grundsätzlich der Wettbewerb härter wird, allerdings sehe ich nicht, dass es da zu einer echten Verdrängung kommen könnte. Wo steht der Online-Buchhandel heute? Hudetz: Ich halte die meisten Umsatzschätzungen generell für zu niedrig. Genau lässt sich das zwar nicht ermitteln, aber nach allem, was ich höre, liegt der Anteil der Onlineumsätze am gesamten Buchmarkt jetzt im zweistelligen Bereich. Bis Ende 2010 dürfte er moderat auf 14 Prozent ansteigen. Das heißt: Große Sprünge sehe ich nicht mehr, auch wenn Bücher noch immer das am meisten gekaufte Produkt sind. Welche Rolle spielt Konzentration derzeit im Online-Buchhandel? Hudetz: Sie geht weiter. In einigen anderen Branchen wird es auch noch neue Anbieter geben, die sich durchsetzen können. Im Buchhandel haben wir zwei bis drei großen Händler, auf die der Löwenanteil beim Umsatz entfällt. Ist noch Platz für neue Buch-Anbieter? Hudetz: Ja, allerdings nur in der Nische, das Massensegment ist längst besetzt. Generell werden die Anforderungen an die Anbieter sehr viel größer, was vor allem kleinere Unternehmen überfordert. In den Nischen kann man das jedoch ganz gut kompensieren durch andere Optionen. Welche? Hudetz: Kleinere Anbieter haben zum Beispiel dann Chancen, wenn es ihnen gelingt, einen gut laufenden Blog um einen Shop zu erweitern. Es gibt bereits mehrere Fälle, wo das gut läuft, etwa bei fahrrad.de. Wichtig ist, dass man Themen mit einem hohen Leserinvolvement besetzt, so wie Küche und Sport, – und ein darauf sehr genau abgestimmtes Produktangebot macht. Wer das Geschäft professionell betreibt, hat gute Perspektiven. Alle anderen fallen zurück. Die Zukunft gehöre den Multi-Channel-Konzepten, sagen Sie. Amazon beweist, dass es ohne eine solche Mehrkanal-Strategie geht. Oder ist das Unternehmen nur eine Ausnahme? Hudetz: Vor zehn Jahren war der Markt nahezu ausschließlich von reinen Internethändlern geprägt, aber die Zeit ist längst vorbei. Amazon ist da eine große Ausnahme, reine Webshops funktionieren zumeist nur noch bei Nischenthemen. Große Unternehmen profitieren davon, wenn sie mehrere Vertriebskanäle bespielen. Sind solche Multi-Channel-Effekte auch bei kleineren Buchhandlungen denkbar? Hudetz: Je dichter das stationäre Netz eines Händlers ist, umso größer sind die Effekte. Einzelkämpfer haben es also ungleich schwerer, eine funktionierende Multi-Channel-Strategie zu entwickeln. Das gelingt nur in wenigen Fällen. Amazon verbreitert seine Basis in alle Richtungen. Ist das der richtige Weg für die Zukunft? Hudetz: Bislang hat Amazon mit dieser Strategie meist richtig gelegen, dennoch bleibe ich vorsichtig - vor allem beim Dauerthema E-Books. Seit acht Jahren reden wir schon vom Durchbruch, ohne dass viel passiert wäre. Ich bin noch skeptisch, ob sich das nun ändert. Interview: Tamara Weise Eine Analyse der aktuellen Geschäftszahlen von Amazon lesen Sie im Börsenblatt 6/ 2009, das heute erscheint.