Interview

„Auf der Lernkurve dabei sein“

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Argon ist das erste Hörbuchlabel, das – in Kooperation mit der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) in Leipzig - DAISY-Hörbücher in größerer Anzahl auch kommerziell vertreibt. Börsenblatt.net sprach mit Argon-Geschäftsführer Henning Stumpp über die Motive für das Pilotprojekt und seinen bisherigen Verlauf. Mehr zu den Hintergründen von DAISY lesen Sie im Börsenblatt Spezial Hörbuch / DVD, das heute erscheint.
Blinden und sehbehinderten Menschen fällt es aufgrund der optischen Bedienung der CD-Player meist schwer, Hörbücher auf Audio-CDs zu nutzen. Aus diesem Grund entwickelte ein internationales Konsortium von Blindenbibliotheken bereits in den 90er Jahren den digitalen Standard DAISY (Digital Accessible Information System), der den Benutzern von Audiobooks weit reichende Navigationsmöglichkeiten und Zusatzinformationen bietet. Bisher waren DAISY-Hörbücher, bis auf wenige Ausnahmen, nur in Blindenbibliotheken auszuleihen. Wie weit ist das Projekt gediehen? Stumpp: Wir haben im Mai 2008 begonnen und zur Buchmesse die ersten 20 Titel der „argon daisy edition“ vorgestellt. Von den inzwischen vorliegenden 100 DAISY-Ausgaben, die wir jeweils in Mini-Auflagen von 50 Exemplaren hergestellt haben, wurden bislang rund 4500 Exemplare verkauft; mit einem Drittel der Titel sind wir daher schon in der zweiten Auflage. Kalkulatorisch befinden wir uns unter Berücksichtigung von Gemeinkosten sicherlich noch in der Investitionsphase, allerdings bei überschaubarem Risiko. Warum hat sich Argon überhaupt in Sachen DAISY engagiert? Stumpp: Die Blinden und Sehbehinderten sind für mich eine absolut valide Zielgruppe. Es gibt für mich keinen Sinn, dass wir die Audioinhalte einerseits schon haben, sie aber andererseits noch einmal von der DZB für die Leihbücherei erstellt werden. An der Stelle gibt es eine sinnvollere Lösung, die der Markt herstellen kann. Es muss sich natürlich in irgend einer Weise kommerzialisierbar machen lassen – zumindest müssen wir unsere Kosten wieder einspielen. Daran arbeiten wir gerade. Wir müssen Erfahrungen sammeln – und die lassen sich nur in der Praxis gewinnen. Eine zweite Überlegung ist das Thema Medienkonvergenz, also die enge Verzahnung mit den Printverlagen, die bei Holtzbrinck gegeben ist. Die Frage ist: Wie kriegt man Print und Audio auf eine Umgebung? Mit dem DAISY-Format sind wir in der Lage, Text- und Audio-Inhalte in einer Form zusammenzubringen, wo sie mit entsprechendem technischen Gerät wieder wieder an die Oberfläche zu bringen sind. Wenn der e-book-Reader etwa DAISY-fähig wäre, könnte man Nutzungs-Topologien erarbeiten, die weit über die jetzige getrennte Verwertung hinausgehen. Das klingt spannend – in der Praxis läuft es mühsamer? Stumpp: Warum sollte ein Gerätehersteller eine technische Funktion gewährleisten, für die es in der Praxis keine Anwendungsbeispiele gibt? Das ist das, was Leute wie Thomas Kahlisch (Direktor der DZB – N.K.) nicht aufhören zu predigen: Man muss halt irgendwann mal den Anfang machen! Noch stehen Sie mit Ihrem Engagement am Markt relativ allein auf weiter Flur... Stumpp: Es gibt auch ein eklatantes Rechte-Problem. Wir als Hörbuchverlage können ja nicht umfangreiche Texte aufbringen. Momentan beschränkt sich das auf Navigations-Informationen, Überschriften, Strukturen, Gliederungen – im Prinzip all das, was dem Sehenden bei der Betrachtung eines Buches ins Auge fällt, ohne Buchstabe für Buchstabe gelesen zu werden. Mit den Blinden und Sehbehinderten haben Sie eine relativ abgeschlossene Zielgruppe, für die berechtigte Ausnahmen im Urheberrecht existieren. Sobald Sie Inhalte über die Zielgruppe hinaus kommerziell nutzen wollen, wird’s schwierig. Je länger und intensiver man sich mit der Materie beschäftigt, desto komplexer wird das ganze Gebilde. Man kann nicht einfach machen, was man gern machen möchte. Warum lassen Sie sich, bei allen Unwägbarkeiten, dennoch auf dieses Projekt ein? Stumpp: Weil ich davon lernen kann! Was die DZB da im Audiobereich macht, ist uns, sowohl technisch, als auch von den Anwendungen her, um Jahrzehnte voraus! Uns gibt diese Kooperation Möglichkeiten, mit dem Format zu spielen – auch wenn ich heute noch gar nicht sagen kann, wohin die Entwicklung in drei, vier Jahren treibt. Es gibt ja jede Menge Nutzer, die schon heute älteren Semesters sind, die vielleicht noch keine ausgeprägte Sehschwäche haben – aber dort hineinwachsen. Sie haben eine Zielgruppe, die nicht von Kindesbeinen an blind ist, sich in dieser Community nicht perfekt bewegen kann – sondern mit einfachen technischen Mitteln die Ausfälle kompensieren muss. Da brauchen wir über kurz oder lang Antworten! Und wenn Sie sich jetzt noch die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft anschauen, nehmen die Fragen, die da auf uns zukommen, eher zu als ab. Hier Erfahrungen zu sammeln, auf der Lernkurve dabei zu sein – das finde ich nicht wenig spannend!