20 Jahre nach der Fatwa gegen Salman Rushdie

Satanische Verse – teuflische Konsequenzen

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Der 14. Februar ist eigentlich als weltweiter Feiertag der Blumenhändler und der Grußkartenprodeuzenten bekannt – Valentine’s Day versinkt regelmäßig in einer Orgie von falschen Gefühlen.
Der 14. Februar 1989 ist aber aus anderen Gründen ein historisches Datum: An diesem Tag wurde bekannt, dass der iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini, eine Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie erlassen hatte und die gläubigen Muslime in aller Welt dazu aufrief, den Autor und alle diejenigen, die sich an der Verbreitung seines Romans „Die satanischen Verse“ beteiligt hatten, zu töten. Rushdie tauchte unter, entschuldigte sich vier Tage später (er bezeichnet diese Entschuldigung heute als größten Fehler seines Lebens) und überlebte im Verborgenen. 1998, nach Chomeinis Tod, wurde der Mordbefehl gegen Rushdie aufgehoben. Andere wurden zum Opfer: Im April 1989 wurden Brandanschläge verübt auf die Londoner Buchläden Collets und Dillons. Im Mai wurden Bombenanschläge in High Wycombe und in der Londoners King's Road verübt. Im Londoner Warenhaus Liberty, in dem eine Buchhandlung des Rushdie-Verlags Penguin untergebracht war, wurde eine Bombe gefunden, ebenso in den Penguin-Buchläden in New York, Nottingham, Guildford und Peterborough. Im August kam ein Mann ums Leben, als er in seinem Hotelzimmer in London an einer Bombe bastelte, die Rushdie töten sollte. 1990 wurde der japanische Übersetzer des Buches, Hitoshi Igarashi, erstochen. Der italienische Übersetzer Ettore Capriolo wurde bei einer Messerattacke schwer verletzt. 1993 wurde der norwegische Verleger William Nygaard angeschossen. Im gleichen Jahr wurde der türkische Übersetzer Aziz Nesin zum Ziel eines Brandanschlags auf ein Hotel in Sivas, der 37 Menschenleben kostete. Das Buch war im September 1988 veröffentlicht worden und hatte durchwachsene Kritiken geerntet. In Indien wurde es kurze Zeit später auf betreiben der nationalistischen Janata-Partei verboten. Die Kunde vom Verbot drang nach Großbritannien, wo islamistische, von Saudi-Arabien finanzierte Gruppen eine Protestbewegung initiierten, die vor allem in den Industriestädten in der Mitte und im Norden Englands Zuspruch fand. Die Reaktion des Iran kam recht spät: Das Buch war dort nicht verboten und wurde sogar in einer Zeitung besprochen. Erst die Reaktionen aus Indien und Großbritannien brachte eine Gruppe von Mullahs dazu, das Buch zu lesen. Sie nahmen Anstoß an einer Passage, die ein Zerrbild eines exilierten Imams enthielt – offensichtlich eine Karikatur Chomeinis. Der nannte später in einer Rede das Buch ein Machwerk, das im zionistischen Auftrag daran gegangen sei, die Stellung des islamischen Klerus zu zerstören. Eine Machtstellung übrigens, die der Koran nicht vorsieht. Die Provokationen gegen die Mullahs in den Satanischen Versen ist tatsächlich unübersehbar. Die Unterstützung der britischen Schriftstellerkollegen für Rushdie fiel deshalb lau aus: Germaine Greer verweigerte ihre Unterschrift unter eine Petition für Rushdie, Roald Dahl sagte, Rushdie habe kalkuliert provoziert und damit ein mittelmäßiges Buch in die Bestsellerlisten katapultiert, John Berger und John Le Carré riefen ihn dazu auf, weitere Auflagen des Buches zu untersagen. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, der zehn Jahre vorher sein Amt auch wegen der Besetzung der US-Botschaft in Teheran und der Geiselnahme der Angestellten verloren hatte, verurteilte die massive Beleidigung des religiösen Empfindens der Muslime, beeilte sich aber, die Rushdie zustehende Freiheit der Rede zu unterstreichen. Der damalige britische Außenminister Geoffrey Howe fasste die Haltung seiner Regierung so zusammen: „Die britische Regierung, das britische Volk, haben keine Sympathie für das Buch. Es vergleicht Großbritannien mit Hitler-Deutschland. Das mögen wir genausowenig wie gläubige Muslime die Angriffe gegen ihren Glauben in diesem Buch mögen. Wie unterstützen dieses Buch nicht. Aber wir unterstützen das Recht der Menschen, frei zu reden und frei zu publizieren.“ Salman Rushdie hat die Fatwa überlebt. Das ist gut so. Aber der Umgang mit dem Islam im Westen hat sich seither verändert. Nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind Ignoranz und neugieriges, unschuldiges Fremdeln einer tiefen Angst gewichen – einer Angst, die vor allem gespeist wird aus unserer Unkenntnis der wirklichen Regeln und Strukturen des Islam, aus unserer Unkenntnis des alltäglichen Lebens der Muslime, die seit vielen Jahren als gute Nachbarn mit uns zusammen leben. Die unsäglichen Thesen Huntingtons, die widerliche Kreuzzugsrethorik der Neocons, die die Wurzel der massenmordenden Interventionen in Afghanistan und Irak bilden, befördern nur den Konflikt. Rücksichtnahme auf religiöses Empfinden anderer ist ein Gebot des Anstands in einer zivilisierten Gesellschaft. Aber: Die kleine Minderheit der Islamisten in Großbritannien ist zu einem echten politischen Machtfaktor auf lokaler und nationaler Ebene geworden – kein Politiker traut sich heute, offen vorzugehen gegen radikale Tendenzen, wie sie in vielen muslimischen Gemeinden auf der Insel offen zur Schau gestellt werden. Als die BBC in einem Dokumentarfilm eine Reihe von Hasspredigern enttarnte, leitete die Polizei Ermittlungen ein – nicht gegen die Aufrufer zur Gewalt gegen Juden, Christen und Homosexuelle, sondern gegen die Filmemacher. Bücher werden nicht verlegt, Theaterstücke und Opern – wir denken an die „Idomeneo“-Affaire in Berlin – zensiert oder abgesagt, um religiöse Gefühle zu schonen und aus Angst vor unangenehmen Konsequenzen. Der Islam ist vielfach zum angsteinflößenden Popanz verkommen. Darüber mögen sich die radikalen Islamisten freuen. Aber es ist nichts anderes als eine Tragödie. Gegen diese Angst zu argumentieren unter Berufung auf die Werte der Aufklärung und das Menschenrecht der freien Meinungsäußerung ist zumeist fruchtlos und manchmal naiv. Aber: Was bleibt uns sonst? Lesetipps: Kenan Malik, From Fatwa to Jihad: The Rushdie Affair and Its Legacy (Atlantic, 2009) Kenan Malik, “Shadow of the Fatwa“, Index on Censorship, Dez. 2008 Malise Ruthven, Satanic Affair: Salman Rushdie and the Rage of Islam (Chatto, 1990) Ilija Trojanow/Ranjit Hoskoté, Kampfabsage: Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen (Blessing, 2007) Holger Ehling war Leiter der Unternehmenskommunikation sowie stv. Direktor der Frankfurter Buchmesse und berichtet seit rund 20 Jahren als Reporter und Korrespondent für das Börsenblatt über die Buchmärkte der Welt.