Krisen sind immer auch Chancen. Wo sind die Chancen für Buchverlage?
Haimerl: Noch schlägt die "Banken- und Industriekrise" nicht auf den Buchmarkt durch. Die Marktdaten des vergangenen Jahres sind insgesamt positiv, und die Kaufkraft der Deutschen steigt auch in 2009. Zum Schwarzmalen besteht also kein Anlass.
Richtig ist aber auch, dass sich der Buchmarkt im Umbruch befindet. Die Umfelder entwickeln sich dynamisch, Prognosen stehen auf tönernen Füssen. Die Auswirkungen der Digitalisierung veränderte bisher vor allem das Geschäft der Fachverlage. Aber eher zum Positiven. Fachverlage haben neue Vertriebs- und Preismodelle entwickelt und planen mit steigenden Renditen. Ob B2B oder B2C, wer die richtigen Inhalte am richtigen Ort mit dem richtigen Preis anbietet, der wird auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.
Sollten Buchverlage sich nun eher auf ihr Kerngeschäft konzentrieren oder jetzt erst recht diversifizieren?
Haimerl: Eine echte Diversifizierung birgt große Risiken. Ohne ausreichende Erfahrungen einen neuen Markt nachhaltig und profitabel zu besetzen, stellt enorme Anforderungen an die Verantwortlichen. Auch empirische Untersuchungen weisen für die Diversifizierung die geringsten Erfolgsaussichten nach. Erfolgversprechender ist, aus dem Kerngeschäft heraus neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Kann auf bereits vorhandene Stärken aufgebaut werden, steigen die Erfolgsaussichten weiter.
Was macht eine gute Strategie aus, wenn sich ein Verlag Nebengeschäfte erschließen will?
Haimerl: Eine gute Strategie zeichnet sich dadurch aus, rechtzeitig neue Lösungen für das Kundenproblem zu erkennen und daraus ein Geschäft zu machen.
Ein Beispiel?
Haimerl: Das eigentliche Kundenproblem eines Schulbuchverlages könnte man im Verbessern schulischer Leistungen sehen. Das ist mit Büchern aber auch mit digitalen Angeboten oder Dienstleistungen möglich. Und tatsächlich gibt es Verlage, die mit Nachhilfe oder Lerntherapie schöne Geschäfte machen und diese weiter ausbauen. Kann ein Kundenproblem mit einer Dienstleistung oder einer neuen Technologie anders oder besser gelöst werden, dann sollten Buchverlage alle möglichen Alternativen systematisch prüfen. Denn hier könnte sich still und leise die Substitution anschleichen. Substitution kommt meist aus einer anderen Branche, sie wird am Anfang nicht ernst genommen und hat sie sich erst im Markt festgesetzt, sind die Reaktionsmöglichkeiten sehr begrenzt. Beispiele gibt es in allen Mediengattungen: Brockhaus -> Wikipedia; Rubrikenmärkte -> Ebay, Monster, mobile.
Was sind die häufigsten Fehler dabei?
Haimerl: Der größte Fehler ist, dass das neue Geschäft nicht vom alten getrennt wird. Gründe hierfür sind vermutete Synergien und möglicherweise auch Widerstände durch die alten etablierten Geschäftsfelder. Neue Geschäfte, so wie sie oben beschrieben sind, können sich aber unter der Obhut der alten Geschäfte nicht im erforderlichen Maße entwickeln. Alte Geschäfte wollen nicht über Jahre hinweg ihr Ergebnis durch neue Geschäfte belastet sehen. Wird es knapp ist es am einfachsten, sich auf das Kerngeschäft zurückzuziehen und die neuen Geschäfte zu schließen. Neue Geschäfte erfordern ein anderes Management, andere Budgets, andere Systeme und Strukturen sowie oftmals auch eine andere Unternehmenskultur. Diese Voraussetzungen herzustellen ist eine zentrale Herausforderung für das Management.
Wenn die Nebengeschäfte zunehmen: Wie muss sich die Abteilungsorganisation weiterentwickeln?
Haimerl: Neue Geschäftsfelder passen nicht mehr in die oft in Verlagen noch anzutreffende starke funktionale Organisation. Neue Geschäfte stören die vorhandenen Abläufe, schnelles und flexibles Handeln wird unmöglich. Deshalb sollten neue Geschäfte immer als eigenständige Organisationseinheit (Business Unit) geführt werden. Nur so können die neuen Geschäfte auf die Spielregeln im neuen Markt schnell und angemessen reagieren. Nur so haben neue Geschäfte eine Aussicht auf Erfolg.
Wird Kundenorientierung bei Buchverlagen ernst genommen?
Haimerl: Natürlich wird sie ernst genommen. Defizite erkenne ich im systematischen Arbeiten, im Prozess von der Definition des lösungsunabhängigen Kundenproblems und des Kundennutzens bis hin zu den konkreten Angeboten. Der durch Planung verursachte Mehraufwand amortisiert sich schnell durch weniger aber gezieltere Angebote. Gleichzeitig lassen sich durch systematisches Arbeiten die verantwortlichen Mitarbeiter einbinden und so gemeinsame Vorstellungen schaffen. Gemeinsame Vorstellungen über Ziele, Strategien und Kunden sind die notwendige Basis für effektives Arbeiten und damit für die angestrebten Resultate.