Am Anfang ist es nur eine ungewöhnliche Geschäftsidee: Mit ihrer Agentur für Entschuldigungen verdienen vier junge Leute eine Menge Geld. Bis sie eines Tages ein anonymer Auftrag zu einer Leiche führt und ein Killer sie verfolgt. Zoran Drvenkars Roman "Sorry" (Ullstein) ist ein Psychothriller, der beunruhigt und tief in die Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen blickt.
Sorry ist ein Thriller, der schockiert und verstört. Wie ging es Ihnen beim Schreiben?
Drvenkar: Anfangs war ich mir sicher, ich würde mich auf eine einfache Geschichte einlassen, die von der Idee einer Agenturgründung angetrieben wurde. Je weiter ich mich aber in die Handlung hineinbewegte, um so tiefer geriet ich in einen düsteren Albtraum, der mich kalt erwischte. Das Buch kam mir bedrohlich vor, so dass ich fast ein Jahr lang mit dem Schreiben ins Stocken geriet. Ein Schriftsteller sollte sich nicht vor seinem Buch fürchten, und wenn er sich fürchtet, muss er sich den Dämonen stellen. Und das wurde dann die härteste Arbeit.
Das Buch kreist um das Thema Schuld, um Gut und Böse und um den Sinn von Strafe. Eine moralische Bewertung der Taten fällt dabei schwer - lag das in Ihrer Absicht?
Drvenkar: Da ich sehr aus dem Bauch heraus schreibe, wusste ich bei der Entstehung der Geschichte nicht, was meine Absichten waren und wohin ich überhaupt unterwegs war. Vom Kern her will ein Schriftsteller natürlich einiges erreichen - Spannung, Unterhaltung, Logik - und hofft, dass er sich irgendwie durchblufft und am Ende ein rundes Ganzes vorzuweisen hat. Als sich der Plot herauskristallisierte und ich zu begreifen begann, was da eigentlich gespielt wurde, musste ich Entscheidungen treffen. Ich wollte nicht das übliche Thriller-Klischee bedienen. Meine Absicht war, neue Türen aufzustoßen und die Klischees zu umgehen. Und mir war es sehr wichtig in der Geschichte fair zu meinen Charakteren sein. Kein Dunkel, kein Hell, sondern die Schatten dazwischen interessierten mich.
Hatten Sie die komplette Handlung und den Schluss beim Schreiben immer vor Augen?
Drvenkar: Leider nicht. Ich wünschte, es wäre so gewesen. Ich habe meinen guten Freund Gregor bis aufs Blut gequält mit plötzlichen neuen Ideen, skurrilen Wendungen und dem unermüdliche Versuch hinter das Geheimnis meiner Ge-schichte zu kommen. Ich liebe es, mich beim Schreiben ins Nichts hineinzubewegen und langsam die Territorien zu entdecken, die aus dem Roman ein Landschaft machen. Das Ende entsteht meistens aus dem Schreiben heraus, es wird von den Charakteren angetrieben und zerreißt mir leider viel zu oft das Herz.
Eine Agentur, die im Namen anderer Entschuldigungen überbringt - wie kamen Sie auf diese Idee?
Drvenkar: Die Idee war ein Traum. In dem Traum habe ich drei Freunde getroffen und ihnen - wie Kris im Roman - von meiner Idee erzählt, eine Agentur zu gründen, die sich entschuldigt. Als ich aus dem Traum erwachte, stand ich vor dem üblichen Dilemma eines übermüdeten Schriftstellers, der sich fragt, ob es sich lohnt für so einen Traum aufzustehen und ihn aufzuschreiben. Die Faulheit siegte, aber ich griff mir noch schnell einen Stift vom Nachttisch und kritzelte den Namen der Agentur auf meine Hand. Auch so kann man Träume bewahren.
Wie lange haben Sie an diesem Buch geschrieben?
Drvenkar: Gute zwei Jahre. Das erste halbe Jahr lief wunderbar, dann kam Sand ins Getriebe und ich spürte, wie mir die Geschichte Angst machte und ich mich zu drücken begann. Also schrieb ich an drei Kinderbüchern und beendete sie und stand wieder vor dem Roman, der wie ein Unwesen auf mich gewartet hatte. Schließlich zwang ich mich wieder an die Geschichte ranzugehen. Eine auferlegte Strafe war, dass ich mich nicht rasieren wollte, bis ENDE unter dem Buch stand. Von September 2008 bis Januar 2008 schwitzte ich Blut und Wasser, der Herbst wurde zum Winter und ich arbeitete jeden Tag bis zum Morgengrauen und verschwand dann bis zum Nachmittag im Tiefschlaf. Tageslicht wurde ein Fremdwort für mich. An manchen Tagen war ich so erschöpft, daß ich im Sitzen vor der Tasta-tur wegnickte. Mein Bart ließ mich wie einen Waldschrat aussehen. Kein Mensch durfte mir zu nahe kommen.
Sie sind (auch) Kinderbuch-Autor und haben in Sorry das Thema Kindes-missbrauch verarbeitet. Liegen Ihnen Kinder (und deren Wohl) besonders am Herzen?
Drvenkar: Ich erzähle in meinen Büchern von den Charakteren, die mich interessieren. Ich habe keine Idee, woher die Charaktere kommen. Ich bin wie ein Hotel. Meine Charaktere tauchen auf, belegen eine Suite und wollen, dass ich ihre Geschichten aufschreibe. Mit den Jahren habe ich entdeckt, dass ich Kinder und Jugendliche spannender finde als Erwachsene. Sie haben mehr Humor, sind verrückter, grausamer und haben noch so viel vor sich, dass man die Spannung in je-dem ihrer Atemzüge spüren kann. Auch wenn ich keine Kinder habe und keine haben will, lassen mich die Seelen der Kinder nicht in Ruhe. Meine Kindheit war rauh und keine Reise auf dem Karussell. Grausamkeit gegenüber Kindern steht bei mir an oberster Stelle der Tabus. Was Erwachsene einander antun ist ein Buch für sich, was sie aber Kindern antun ist in meinen Augen ein Affront gegen das Leben. Es gibt keine Entschuldigung für Kindesmisshandlung.
Zoran Drvenkar: "Sorry". Ullstein, 398 S., 19,90 Euro
Interview: Eckart Baier