Kontroverse zum Urheberrecht beim Branchenhearing Buchmarkt

„Sie werden immer hinter den Piraten herlaufen“

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Als Bestandsaufnahme war das Branchenhearing Buchmarkt von Seiten der Bundesregierung beabsichtigt worden, aber auch als „intensiver Dialog“. Intensiv gesprochen wurde bei dem gestrigen Treffen in Frankfurt tatsächlich, inhaltlich aber dominierte ein Thema die Debatten: Wie steht es im Internetzeitalter um die Rechte der Urheber und der Verwerter?
Die Positionen konnten disparater kaum sein. Nach dem pointiert provozierenden Blick auf die „schöne neue Welt“ aus Verlegerperspektive durch Karl-Peter Winters meldete sich die Generaldirektorin der Nationalbibliothek, Elisabeth Niggemann, versöhnlicher zu Wort: als „Freundin der Verleger“. Wenn es um die Vermarktung digitaler Bestände gehe, will Niggemann darunter „das Heben von Schätzen und das Aufmerksammachen“ verstanden wissen. Die Bibliotheken strebten nicht nach der kommerziellen Verwertung, sondern „wir wollen es vermarkten im Sinne von: frei an möglichst viele Nutzer bringen“, versicherte sie. Und ergänzte: „Was urheberrechtsfrei geworden ist, sollte vom öffentlichen Bereich nicht wieder unfrei gemacht werden.“ Thieme-Verleger Albrecht Hauff machte darauf aufmerksam, wie rasch gesetzgeberische Entscheidungen das Geschäft der Wissenschaftsverlage beeinträchtigen können. „Was uns bedroht, ist die Internet-Piraterie.“ Noch funktioniere bei Thieme das Lizenzgeschäft für die E-Book-Libraries sehr gut, die Preise des Verlages würden „offensichtlich als angemessen empfunden“. Das könnte sich schnell erledigt haben, warnte Hauff, wenn nach einem womöglich erweiterten Paragraph 52b des Urhebergesetzes künftig die Online-Nutzung der lizenzierten Werke nicht auf die Leseplätze des Lizenznehmers beschränkt bliebe. Die Interessen der Autoren im Internet brachte Anna Dünnebier auf einer prägnanten Plus-Minus-Liste zusammen. „Neue Chancen“ sieht die stellvertretende Vorsitzende des Verbands Deutscher Schriftsteller – „wir können Texte öffentlich machen. Das ist ein großer Gewinn an Informationsfreiheit, leider noch nicht an Verdienst.“ Das Urheberrecht stehe nicht gegen die Informationsfreiheit (was leider öffentlich oft und falsch behauptet werde). „Autoren möchten ihre Texte gerne weiterverbreiten; sie möchten von dieser Verbreitung allerdings auch gerne leben.“ Dünnebier kritisierte alle Versuche, geistigen Diebstahl mit Hinweis auf die Kultur- und Informationsfreiheit zu rechtfertigen. „Hier tut Aufklärung not.“ Zum Google-Settlement bemerkte die Schriftstellerin, von ihr seien bisher drei Romane bei Google auffindbar. „Jetzt bekomme ich vielleicht 60 Dollar für jeden Roman für die Einräumung lebenslanger weltweiter Nutzungsrechte. Das scheint mir ein recht bescheidenes Honorar zu sein.“ Allerdings: „Können wir Autoren überhaupt aussteigen? Oder verschwindet man dann ganz aus dem Kanon der Bücher?“ Der Rechtsanwalt und Autor Till Kreutzer von iRights.info ermunterte die Branche dazu, kreativ über neue Geschäftsmodelle nachzudenken und die Vorteile zu sehen, die sich aus dem Google-Settlement ergeben könnten: mehr Reichweite etwa, immerhin eine Beteiligung an den Einnahmen der Suchmaschinenfirma. Kreutzer widersprach auch der Auffassung, es drohe ein Ausverkauf der Rechte. „Google erhält nur einfache Nutzungsrechte. Jeder Autor kann sich selbst weiter vermarkten.“ Nach Überzeugung von Random-House-Geschäftsführer Joerg Pfuhl ist das Internet zunächst einmal ein hilfreiches Marketing-Instrument. „Wir können erstmals direkt mit unseren Lesern kommunizieren. Online ist ein bedeutsamer Vertriebsweg sowohl für physische Bücher wie für digitale Produkte.“ Pfuhl wies darauf hin, dass sich in den USA die Umsätze mit E-Books zuletzt steil nach oben entwickelten. Er erwarte den „Marktdurchbruch in den nächsten fünf Jahren“. Publikumsverlage würden deswegen nicht verschwinden; „sie bleiben wichtig. Aber es werden bis dahin heute noch unbekannte Geschäftsmodelle entstanden sein.“ An die Politik richtete Pfuhl, wie zahlreiche Branchenvertreter vor und nach ihm, drei Wünsche: einen verlässlichen Rechtsrahmen, der das Eindämmen von Online-Kriminalität ermöglicht; eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes für digitale Bücher; und schließlich eine Initiative Leseförderung. Bettina Preiß, die die Geschichte ihres VDG-Verlags (Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften) referierte, räumte bei der Gelegenheit mit dem Vorurteil auf, die Buchbranche habe die Digitalisierung verschlafen. Sie habe in ihrem Unternehmen bereits in den frühen neunziger Jahren über digitale Workflows und Geschäftsmodelle nachgedacht. „Das Internet ist für uns der Weg zu den speziellen, den nicht industrialisierten Büchern. Sie werden durch das Internet auffindbar und dadurch nutzbar für Menschen mit besonderen Interessen.“ Das Stichwort Förderpolitik brachte der Verleger Manfred Metzner, ehrenamtlich für die Kurt Wolff Stiftung zugegen, ins Gespräch. Zum Schutz einer „Vielheit“ von Verlagen seien Programme von Regierungsseite zur Unterstützung der kleinen Verlage in Deutschland sehr zu wünschen. Metzner richtete eine von ihm gern gestellte Frage an den Moderator des Tages, Peter Grafe, Referatsleiter „Kulturwirtschaft“ beim Kulturstaatsminister: „Warum gibt es ein Filmförderungsgesetz, aber kein Literaturförderungsgesetz?“ Darauf Grafe: „Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.“ Darauf Metzner: „Eben!“ Die beiden auf dem Hearing vortragenden Buchhändler, Osiander-Chef Heinrich Riethmüller und Börsenvereinsvorstand Stephan Jaenicke, stimmten darin überein, dass der Markt für den stationären Buchhandel enger werde – zugunsten des Internet-Handels. Riethmüller skizzierte, wie die Buchhandlungen seines Unternehmens jedoch offensiv mit den neuen Gegebenheiten umgingen: etwa durch eine Weiterentwicklung des Markenbilds zu „OSIANDER.de“; etwa durch den Verkauf des Sony-Readers in allen Filialen ab Mitte März; etwa durch die Nutzung der lokalen Bekanntheit von Osiander für den eigenen, sehr individuellen Online-Shop. Jaenicke als Vertreter der kleineren Buchhändler räumte ein, dass die Digitalisierung viele kleine, unabhängige Geschäfte eher vor neue Probleme denn vor neue Chancen stelle. Zwar hätten die meisten Kollegen heute schon Online-Buchshops, „aber oft noch viel zu wenig individualisiert“. Aus seiner Sicht fördert die Digitalisierung bereits vorhandene große Trends: den zur Konzentration; den zum Internethandel; den zur Stärkung ohnehin starker Marken; und den zur Piraterie. Letzteren solle man nicht durch den Ruf nach dem Gesetzgeber aufzuhalten versuchen. So lautete die provokative These von Michel Clement, Professor am Institut für Marketing und Medien der Universität Hamburg. Clement warf der Buchbranche vor, sie habe es seit Jahren versäumt, legal und leicht zugänglich populäre Bücher online zu vermarkten. Und was die Branche nicht selbst erledige, das erledigten dann die User für sie. „Sie können im Urheberrecht machen, was Sie wollen: Der User wird seinen Weg in den Schwarzmarkt finden. Millionenfach. Sie werden immer hinter den Piraten herlaufen.“ Die Branche habe durch ihre Untätigkeit dazu auch noch indirekt den Anlass produziert. Des Professors Fazit: „Sie haben kein juristisches Problem. Sie haben ein Marketing-Problem.“ Mehr zum Branchenhearing lesen Sie im aktuellen Börsenblatt, das am 5. März erscheint.