Meinung

Wer jammert, hat noch Reserven

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Wie widerständig ist die Buchbranche wirklich? Rainer Moritz über die Angst vor dem Untergang.
Täusche ich mich, oder ist es diesmal anders? Geht die Branche mit den alljährlich ausgerufenen Krisen des Buchmarkts anders um als in der Vergangenheit? Wann immer in den letzten Jahrzehnten über den Niedergang des Verlagswesens oder über die Zukunftslosigkeit des Buches schlechthin räsoniert wurde, konnte man sich darauf verlassen, dass die Haudegen des Metiers nichts besser verstehen, als sich in elegant formulierten Jeremiaden zu ergehen – selbst wenn die Bestsellerlisten und Bilanzen das Gegenteil ausweisen. Und nicht minder gut fuhr man meist damit, dem Beharrungsvermögen des alten Mediums zu vertrauen und sich mit der historischen Wahrheit zu beruhigen, dass das Aufkommen neuer Medien stets für Existenzängste bei den Vertretern »alter« Medien sorgte, für Ängste, die sich bald darauf verflüchtigten. Hat das Radio die Ankunft des Fernsehens nicht recht ordentlich überlebt? Oder wie war das vor rund zehn Jahren, als das »Rocket eBook« das Sterbeglöckchen des althergebrachten Buches zu läuten schien und zwei Jahre später kein Mensch mehr davon sprach? Heute jedoch, da die Finanzmarktkrise den Eindruck erweckt, dass deren Auswirkungen selbst von Fachleuten nicht überblickt werden, scheint die Buchbranche von der gleichen Hilflosigkeit ereilt zu werden und ihre Zuversicht zu verlieren, dass das gute alte Buch gerade in Zeiten verbreiteter Unsicherheit als letzter Haltepunkt dienen könnte. Szenarien des Schreckens, wohin das Auge blickt: Buchverlage, die in großen Konzernen verankert sind, geraten in Bedrängnis, wenn ihre Schwesterfirmen im Zeitschriftensektor auf Anzeigen angewiesen sind – auf Anzeigen aus der Finanz- oder Automobilwelt, die so schnell nicht wiederkommen werden. Das E-Book hat seine Kinderkrankheiten überwunden, drängt vehement auf den Markt und sorgt bei den Verlegern im Moment für eine gewisse Rat­losigkeit, denn keiner vermag vorherzusagen, ob herunterladbare Inhalte für eine Absatzerweiterung oder eine gnadenlose Verdrängung der alten Textträger sorgen werden. Wenn Kiepenheuer & Witsch-Verleger Helge Malchow in einem Interview die Hoffnung äußert, die »Einführung elektronischer Lesegeräte« werde »bei vielen Lesern erst wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Schönheit das traditionelle Datenträgersystem Buch« habe, so lesen wir das alle gern und empfinden dennoch ein wenig so, als pfeife hier einer lautstark, der sich auf den Stufen hinab in einen sehr dunklen Keller befindet. Es scheint genau diese Unsicherheit zu sein, die die gegenwärtige Krise zu einer außergewöhnlichen und bedrohlichen macht, zumal sich kaum sagen lässt, ob weitere Hiobsbotschaften aus der Finanzwelt nicht vor allem den Buchabsatz schmälern werden. Auf Abwrackprämien für alte Romane sollte man nicht hoffen. Vielleicht hilft da nur der Rückgriff auf einen meiner Lieblingssätze aus der Weltliteratur, aus Karen Duves kleiner Geschichte »Weihnachten mit Thomas Müller«, wo die Katze Sandra Kaiser einem zur Larmoyanz neigenden Stoffbären ewige Worte mit auf den Weg gibt: »Wer jammert, hat noch Reserven. Verleger und Buchhändler klagen gemeinhin auch in guten Zeiten. Ist jetzt alles anders?