Standpunkt

Das Lächeln der Piraten

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Das Frankfurter Branchenhearing Buchmarkt, auf dem die Bundesregierung vorgab, etwas lernen zu wollen, kannte fast nur ein Thema: den Schutz geistigen Eigentums. Lerneffekte hatte die Veranstaltung vermutlich nicht.Ein Standpunkt von Torsten Casimir.

Sarah aus den USA tut es oft. Mads, der Norweger, des­gleichen. Auch Can, der in Istanbul lebt, mag nicht drauf verzichten. Die drei bedienen sich illegal­ im Internet. Mit Musik, mit Filmen, mit Büchern. Sie nennen es file-sharing.

To share ist ein feines Verb – sich etwas teilen. Schöne Bedeutung, schöner Klang. Sarah und die Jungs können sich luxuriöser­weise sogar etwas teilen, das keiner von ihnen zuvor hat kaufen müssen. Das macht sie besonders froh. Deshalb finden sie auch: »File-sharing is good.«

Sarah, Mads und Can bekennen sich zu ihren Taten. Und sie bereuen nichts. Auf der Internet-Seite filesharer.org haben sie gemeinsam mit Tausenden Gleichgesinnten ein Foto von sich hochgeladen. Die Massenaktion, Protest aus Anlass eines Straf­verfahrens gegen die sogenannte Tauschbörse Pirate Bay, trägt eine interessante Überschrift: »This is what a criminal looks like«.

So textet kein gemeiner Dieb. So texten nur die wahren Freibeuter der Kultur: Datenpiraten eben. Diese Piraten sind Edel-Delinquenten. Nichts fällt ihnen leichter (außer file-sharing) als die souveräne Selbstbezichtigung. Sie kokettieren mit der Kriminalität, weil sie wissen, dass sie nichts zu fürchten haben. Ihre Gemeinde wächst täglich. Die gesellschaftliche Akzeptanz auch. Mit staat­lichem Widerstand müssen sie offenbar nicht rechnen. Sarah und die anderen lächeln meist. Man hätte ihr Piratenkopf-Multiple auch so betiteln können: »This is what a criminal smiles like«.

Im Kampf gegen die leider so genannte Internet-Piraterie geht manches schief. Zum Beispiel die Sprache. Niemand, der durch seine Wortwahl Millionen illegaler Downloader mit der Exotik von Piratentum und Abenteuer in Verbindung bringt, darf sich wundern, wenn die dann ihr Rollenspiel perfektionieren – und als Kriminelle lächelnd grüßen.

Der Rechtsstaat Deutschland leistet ebenfalls dem Piraten­lächeln Vorschub. Urheber wie auch Inhaber von Verwertungsrechten stehen schon heute zunehmend schutzlos da. Sie müssen mit ansehen, wie sich kommerzielle Verwertung kreativer Leistungen fern der Leistungserbringer ereignet, ohne dass diese irgendeinen Einfluss darauf hätten oder gar einen Vorteil davon. Stark betroffen sind insbesondere die Hörbuchverlage.

Urheber müssen mit anhören, wie staatlich alimentierte Experten von der Befassung des Gesetz­gebers in Sachen Eigentumsschutz mit dem Argument abraten, man könne das Urheberrecht weder zur Steuerung technischer Entwicklungen noch zur Einflussnahme auf massenhaftes Medienverhalten in Stellung bringen. User täten nun einmal, was sie täten.

Ein Download ist ein Download ist ein Download.

Das von der Bundesregierung einberufene Branchenhearing Buchmarkt vergangene Woche in Frankfurt hat den Inhabern von Rechten an geistigem Eigentum abermals eine empfindliche Lektion erteilt. Sie gipfelte in der Diagnose, die der dynamische Hamburger Professor für Marketing und Medienmanagement, Michel Clement, der Branche folgendermaßen stellte: »Sie haben kein juristisches Problem. Sie haben ein Marketing-Problem.«

Das ist mehr als eine Akzentverschiebung. Das ist der nassforsche Abgesang auf ein Prinzip, dem­zufolge – mit Niklas Luhmann gesprochen – sich bisher jeder sicher sein konnte, im Recht zu sein, wenn er im Recht war; ein Prinzip, demzufolge das Rechtssystem über das, was Recht sei, nach eigenen Maßgaben selbst befand. Das Prinzip, dem gerade ge­kündigt werden soll, sieht vor, dass zum Beispiel die Anstrengungs­unlust von Ministerialbeamten oder die Provokationslust eines Professors oder das Opportunitätskalkül zur Wahl stehender Politiker keinen (oder allenfalls einen möglichst geringen) Einfluss auf die Geltung von Rechtsnormen und ihre Durchsetzung haben dürfen.

Man nennt dieses Prinzip Rechtsstaatlichkeit. Im Bezug auf das Urheberrecht müsste es sicherstellen helfen, dass es die Sache eines Urhebers bleibt, seine Werke zu verwerten oder deren Verwertung anderen einzuräumen. Es müsste klarstellen, dass es eine legitime und ökonomisch sogar wünschenswerte Erwartung des Urhebers ist, von Verwertungen seiner Leistung zu profitieren. Das Prinzip Rechtsstaatlichkeit sieht hingegen nicht vor, dass die Geltung von Normen vom Stand technischer Innovationen oder von massenhaft verändertem Verbraucherverhalten abhängt. Geschäftsmodelle von Suchmaschinenfirmen zum Beispiel sollten keine Rechtsnormen begründen.

Sie tun es aber: Bereits das ist nicht erfreulich. Und es wird offen, auch im politischen Raum, so argumentiert – nach dem Motto, Millionen User können sich nicht fehlverhalten: Das ist skandalös. Konsumpraxis und technischer Fortschritt treiben die Rechtsentwicklung vor sich her. Genauer gesagt, fördern sie die Degenera­tion des Rechts.

Im Vorfeld der Frankfurter Anhörung hatten das Bundeswirtschaftsministerium und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in der Branche schriftlich nachgefragt: Welches die gegenwärtig wichtigsten Herausforderungen seien? Welche Entwicklungen über das künftige Wohl und Wehe des Buchhandels entschieden? Und welche konkreten Erwartungen man an die Bundesregierung habe? In den Antworten stand das Thema Urheberrecht ganz oben auf der Dringlichkeitsskala. Die Branche erwartet von Berlin ein schlüssiges und vor allem ein wirksames Konzept zum Schutz des geistigen Eigentums in Wirtschaft und Kultur.

Die so geantwortet haben, müssen leider damit rechnen, enttäuscht zu werden. Verblüffend widerstandslos, so scheint es seit einiger Zeit, arrangiert sich der Gesetzgeber mit den Verhältnissen im Internet. Es sind keine rechtsstaatlichen Verhältnisse. File-sharing ist gut. Law-sharing, also gleiches Recht für alle, ist verpönt.

Normen werden ersetzt durch die Multiperspektivität der Beteilig­ten. Jeder hat seine Sicht: der Autor, der Verleger, der Bibliothekar, der Suchmaschinist, der Provider, der Datenschützer, der User. Hearings sind Verfahren, die so tun, als würde die Vielfalt an Standpunkten objektiv aufgenommen. Man sagt dann zu Beginn (in Frankfurt übernahm diesen Job Ingeborg Berggreen-Merkel, Abteilungsleiterin des Kulturstaatsministers): »Wir, die Bundesregierung, wollen von Ihnen lernen.« In einer solchen Versuchsanordnung marschieren die Interessen und Argumente aus Prinzip gleichrangig nebeneinander auf. Das Prinzip sieht edler aus, als es ist. Mit einer Bewertung von Geltungsansprüchen macht man sich in Berlin nicht mehr die Finger schmutzig.

Möglicherweise »kann die Regierung gar nichts tun«, sagte ein Ministerialer gegen Ende der Veranstaltung. Möglicherweise hat er das falsche Verb benutzt. Möglicherweise will die Regierung gar nichts tun.

Dass man Urheberrechtsverletzer im Internet Piraten schimpft und damit ihr Image aus Versehen aufwertet, ist nicht die einzige Kommunikationspanne in der Geschichte des Rechteverfalls. Auch die fortgesetzt moderate Art, wie die Mehrheit der Branche höflich um den Fortbestand ihrer Geschäftsgrundlagen bangt, darf mal überprüft werden. Könnte die Zeit für deutlichere Unmutsäußerungen gekommen sein?

In Frankfurt hat der Fachverleger und Klartextsprecher Karl-Peter Winters eine Richtung gewiesen, in die es rhetorisch gehen könnte. Der Ton, den er anschlug, trug ihm regierungsseitig das nervöse Lob ein, er beherrsche wohl »die Kunst der Zuspitzung«. Ist doch schon was!

Außerhalb von streng geordneten Hearings war es zuletzt die Hörbuchverlegerin Claudia Baumhöver, die in einem »Focus«-Interview zu verschärfter Deutlichkeit gelangte. Sie würde den fröhlich Gesetzlosen in der Pirate Bay auf deren »This is what a criminal looks like« vielleicht scharf entgegnen: »Genau. Genau­ so sehen Kriminelle aus.« Und sie würde – Kunst provozierender Zuspitzung – ein großes »Wanted« über das Ensemble der Filesharer schreiben.