Schriftsteller bitten zu Tisch

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Stippvisite in London. Leider nicht zum shoppen oder um mich sonst wie zu amüsieren, sondern um zu arbeiten. Immerhin darf ich mich in Buchläden rumtreiben, das geht durch...
Wer mich kennt, weiß, dass ich kein besonderes Faible habe für die Waterstone’s der Welt und ihre Format-Sortimente – ich finde solche Läden zumeist so fade wie die formatierten Radioprogramme: Dudelfunk mit Büchern und Regalbrettern. Fehlt eigentlich nur noch die übliche Fahrstuhlmusik.
Aber ich schweife ab: Diesmal freue ich mich, dass ich meine Abneigung überwunden und in Waterstone’s (wie hängt man eigentlich im Deutschen orthographisch korrekt ein Genitiv-„s“ an einen englischen Genitiv an?) Buchladen am Islington Green vorbeigeschaut habe: Seit Jahresbeginn bietet der Kettenhändler nämlich in ausgewählten Filialen eine „Writer’s Table“ an, als Teil einer auf das ganze Jahr angelegten PR-Aktion mit dem großen Titel „The Writer’s Year“.
Die Methode ist einfach: In jedem Monat wählt ein Star der gegenwärtigen Literaturszene 40 Bücher aus, die er oder sie besonders empfehlen. Oder, wie die PR-Strategen schäumen: „The selection … offers an incredible insight into the influences that have helped to make him one of the bestselling and most critically acclaimed writers working today.” Aus solchen Sätzen machen Café-Betreiber einige Liter Latte.
Nun ja.
Der Autor empfiehlt also seine 40 Lieblingstitel. Diese Bücher werden dann auf einem gut zugänglichen Tisch platziert und in Katalogen und im Internet besonders herausgestellt. Für die Verlage besonders schön: Eine Marketingpauschale, die sonst für solche Vorzugsbehandlung kassiert wird, fällt nicht an.
Das Ziel ist klar: Waterstone’s, das seinen Ruf als ernsthafter Sortimenter durch das Mitmachen jeder noch so dümmlichen Rabattaktion und das Umdeuten des Sortiments in Richtung Massenmarkt, Kinderbuch und PBS massiv untergraben hat, will sich durch den geborgten Glanz, den die Buchempfehlungen der Literati abwerfen, bei anspruchsvollerer Kundschaft wieder ins Bewusstsein rufen. Das ist erstens legitim und zweitens zu loben. Und drittens werden damit endlich jene Kunden angesprochen, auf die jeder Buchhändler besonders angewiesen ist: Die Bücherfresser, Leseratten, Intensivkäufer oder wie man sie sonst noch heißen mag.
Tatsächlich werden den Autoren bei der Auswahl der Titel keine Beschränkungen auferlegt, außer den naheliegenden Bedingungen: Englischsprachig müssen die Bücher sein und aktuell lieferbar. Da könnte man jetzt bedauern, dass dadurch die Verbreitung der neuesten Lyrikanthologie in Tagalog oder Yoruba behindert wird, aber wir verschmerzen das jetzt einfach mal.
Bisher haben Sebastian Faulks, Philip Pullman und – aktuell im März – Nick Hornby ihre Auswahlen präsentiert. Wer als nächstes drankommt, wird geheim gehalten, die monatliche Ankündigung wird genüsslich als Überraschung zelebriert, zur Freude der fröhlich mitmachenden Branchen- und Publikumspresse, die tatsächlich so berichten, als sei das inszenierte PR-Event so etwas wie eine Nachricht. Auch etwas, das man als Öffentlichkeitsarbeiter erst einmal hinbekommen muss.
Was lernen wir daraus? Nun: Auch die bösen Menschen im britischen Großbuchhandel haben manchmal clevere und sympathische Ideen. Seriösen literarischen Schriftstellern in Großbritannien ist es nicht bei sofortiger Abstrafung durch die Kritik verboten, kommerziell aktiv zu werden und mit der Empfehlung von Büchern ein – wohl nicht allzu schmal geschnittenes – Zubrot zu verdienen. Vielleicht sollten wir so etwas auch in Deutschland einmal probieren: Den Lesern würde es sicherlich gefallen, und wenn es denn der Wahrheitsfindung, will sagen dem Buchverkauf dient, sollten wir die puristischen Unken aus dem Feuilleton ausnahmsweise ignorieren.