E-Books : Heilmittel oder schleichendes Gift?

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Mit dem Markteintritt der E-Book-Reader verändern sich auch die Bedingungen für das Sortiment. Manfred Queißer verkauft die Geräte ab sofort in seiner Buchhandlung und hat sich die Reader angeschaut. In seinem Beitrag wägt er zudem Chancen und Risiken des Geschäfts mit elektronischen Büchern und Lesegeräten ab.

Am Anfang war das Wort, zuerst auf Stein, auf Papyros, auf Pergament. Dann kam Gutenberg, der Buchdruck auf Papier, jetzt kommt Gutenberg 2 auf Ink-Bildschirmen. Worte auf Bildschirmen zu lesen ist nicht revolutionär, die Kombination eines E-Book-Readers – flacher als ein Mobiltelefon und so klein wie ein Taschenbuch – mit jederzeit sofortigem Online-Zugriff auf Tausende von Büchern schon.

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Die erste Bastion der Bücherfestung, gebaut seit 1450, fiel mit der Brockhaus-Enzyklopädie. Die nächsten Bastionen werden wohl im Bereich Gesetzestexte, Uni-Skripte, Schullektüren und Schulbücher fallen.

Noch ist erst die zweite Generation der Ebook-Reader auf dem Markt, mit großem Medienhype erschien am 9. Februar der Kindle 2 in den USA. Das überzeugende Konzept eines Readers, der jederzeit online Bücher, Zeitschriften und Fachartikel auf den Bildschirm zaubert, bringt Amazon ungefährdet die Marktführerschaft. Die wäre Amazon auch in Europa sicher, gäbe es hier wie in Amerika den Direktzugriff über das Mobilfunknetz von Sprint, das EVDO (Evolution Data Optimized) für beschleunigte Datenübertragung im Rahmen des in den USA eingesetzten 3G-Mobilfunkstandards CDMA2000 unterstützt. Amazon nennt sein Auslieferungssystem über das Sprint-Netz »Whispernet« und erklärt, dass für die Nutzer keine zusätzlichen Mobilfunk- oder Datenübertragungsgebühren anfielen.

Nun hat Sony mit seinem E-Book-Reader PRS 505 den Markt betreten. Ist damit der Kuchen schon aufgeteilt? Kann sich jetzt der gemeine Sortimentsbuchhändler beruhigt im Lesesessel zurücklehnen und sich bestätigt fühlen, dass dieser elektronische Quatsch sowieso nichts für den Buchladen und seine Kunden sei? Sicher nicht, bei uns fängt das Spiel ja jetzt erst an, neben dem Sony-Reader gibt es mit dem BeBook und dem Cybook Geräte, die jetzt lieferbar sind. Sie bieten mehr Möglichkeiten, die unterschiedlichsten Formate zu lesen.

Wir bieten in unserer Buchhandlung Cybook und Sony an. Unsere Kunden sind erfreut und überrascht, dass ihre Kleinstadtbuchhandlung so schnell auf dem Stand der Dinge ist. Sie können sich auch vorstellen, was sie damit machen: auf den nächsten Inselurlaub mitnehmen, dem Sohn oder der Tochter zum Studienbeginn schenken, der Schülerin oder dem Schüler
geben, der lieber hört als liest (auf dem E-Book-Reader kann er bald beides).

Vor allem der Cybook-Reader ist mit seiner Möglichkeit, Buchstaben bis weit über 36 Punkt in 12 Stufen darzustellen, auch das ideale Hilfsmittel für Leseschwäche. Er ist leicht zu halten – nur 160 Gramm schwer – und hat eine kontrastreichere Anzeige und eine einfacherer Bedienung als der Sony Reader. Dafür punktet der Japaner mit einer ausgefeilten Software, einem stabilen und schweren Alugehäuse.

In den Startlöchern stehen weitere Hard- und Softwarekonzepte: Der eslick-Reader von Foxit-Software wurde auf der Cebit vorgestellt. Er wird nur knapp über 200 Euro kosten und hat die besten Fähigkeiten, mit PDF-Dateien umzugehen.

Wenn ab 12. März auf libreka! mehr als 1.000 Bücher als E-Books verfügbar sein werden, kann die E-Book-Zukunft auch für Buchhändler beginnen.

Die Branchenplattform bietet die Teilnahme als Partnerbuchhandlung mit der BAG für das Zahlungsclearing. Bevor aus diesem »Modell« auch ein Geschäft wird, ist sicher einiges zu tun, heute gibt es nur 418 Buchhandlungen, die einen VLB-Online-Shop haben, der »Buchkatalog« von KNV wird von gerade doppelt so vielen auf ihrer Buchhandels-Homepage eingestellt. Über Libri.de sind über 1.000 Buchhandlungen eingebunden.

Der Verkauf von E-Book-Lesegeräten erfordert einiges an EDV-Wissen, Kenntnis über die Formate, in denen die Ebooks abgespeichert sind, Handhabung der Softwaretools für
Umwandlung und Überspielung und mehr.

Im Gespräch mit Kunden, in den Reaktionen der Presse und beim Lesen von Internetforen wird sichtbar, das sich der Markt und das Interesse an E-Books und Lesegeräten klar aufspaltet. Auf der einen Seite die junge, technikbegeisterte, mobile Generation, auf der anderen Seite das konservative Milieu der Buchliebhaber. Die Erstgenannten sehen wir in unseren Buchhandlungen eher selten, die Buchliebhaber vom Ebook-Reader zu überzeugen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Aber auch für die wird es in Zukunft einiges zu entdecken geben.
Vieles, was heute auf dem Gebrauchtbuchmarkt nur als abgegriffenes Taschenbuch existiert, hätte durchaus einen weiteren Auftritt als Ebook verdient.

Hier liegen auch die Chancen für Buchhändler in der Region. Manche Rarität auf dem regionalen Buchmarkt kann er auf seinem Webauftritt mit eigenem Ebook-Angebot wieder auferstehen lassen.

Auch mit kleineren Texten und Beträgen lässt sich viel erwirtschaften, wie das erfolgreiche Beispiel des iPhone von Apple zeigt. E-Books lassen sich ja nicht nur auf speziellen
E-Book-Readern lesen, gerade den Smartphones wird als Lesemedium eine große Zukunft vorhergesagt: die elektronische eierlegende Wollmilchsau. 

Chancen und Risiken: Eines der größten Risiken sind wir selbst in unseren inhabergeführten Buchhandlungen. Wenn wir nicht rasch und aufnahmebereit auf dieses neue Marktsegment eingehen, bleiben wir außen vor. Der Kunde braucht uns beim E-Book nicht, wir aber den Kunden. Viele Verlage haben das schon als selbsterfüllende Prophezeiung vorweggenommen, wie jetzt der Herder-Verlag mit seinem frisch platzierten E-Book-Shop. Aber auch die Verlage wird es treffen, Schullektüren, Gesetzestexte, Uni-Skripte: ein gefundenes Fresse für E-Book-Reader.

Die Nebenwirkungen: Der weltweite Kampf um Inhalte und deren Verwertung wird schneller
und härter. Google kündigte unlängst den Zugang von 500.000 Büchern für das Google-Handy G1 und für das iPhone an. Auch Zeitschriften und Zeitschriftenverlage bemächtigen sich der E-Book-Reader, deren Bildschirme werden farbig.

Die kulturelle Bedeutung des Lesens, der Wert des Buches hat sich gewandelt und wird sich immer schneller wandeln. Meine Buchempfehlung dazu ist von Ivan Illich, »Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand.«

Manfred Queißer, Autor dieses Beitrages, berät auf der Leipziger Buchmesse am Stand
des Sortimenterausschusses in Sachen E-Book und E-Book-Reader vom 12. - 14.März.