"Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat von seiner Gründung an seine Aufgabe nicht nur darin gesehen, die Interessen eines Berufsverbandes zu wahren, sondern zugleich auch für das einzustehen und an das zu erinnern, wofür die Ware „Buch“, mit der er zu tun hat, steht: nämlich den kulturellen Wert, der dieser „Ware“ zukommt, das geistige Eigentum, das ihr zugrunde liegt und die literarische Authentizität und buchstäbliche Verlässlichkeit, die gerade diesem Medium zukommt. Lassen Sie mich deshalb die Gelegenheit nutzen, um auf einen Vorgang aufmerksam zu machen, der nicht nur Buchhandel, Verlagswesen und Autoren beunruhigen sollte.
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Zurzeit läuft in Stockholm gegen die Betreiber von The Pirate Bay für die Zukunft unserer Bücher einer der wohl wichtigsten Online-Prozesse. The Pirate Bay bietet ein Verzeichnis von Daten, die viele Menschen auf der ganzen Welt vielfältig auf ihren Rechnern gespeichert haben. Der Katalog bietet Wegbeschreibungen an, mit deren Hilfe der Nutzer spezielle Computerprogramme finden kann, die ihm neben illegal kopierter Musik und illegal kopierten Filmen auch illegal kopierte Bücher und Hörbücher verschaffen. Einen Teil der ursprünglichen Anklage gegen The Pirate Bay, nämlich Raubkopien illegal bereitzustellen, hat die Staatsanwaltschaft zurückgezogen. Doch wirft sie den Betreibern weiterhin vor, das Urheberrecht durch die Bereitstellung technischer Grundlagen zum Tausch von Raubkopien zu verletzen. Das Urteil wird zum 17. April erwartet.
Selbst vielen Gegnern und Befürwortern ist nicht deutlich, dass es in diesem Stockholmer Verfahren um eine richtungweisende Entscheidung für den zukünftigen Umgang mit „Geistigem Eigentum“ geht. Seit Jahren fordern Autoren, Verlage und Buchhändler ein modernes Urheberrecht für das digitale Zeitalter. Doch bislang hat dieses zentrale Thema in Deutschland noch keine der maßgeblichen politischen Parteien dazu veranlasst, die Frage so kraftvoll und sichtbar aufzugreifen, wie es ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung entspricht, und zu diesem Zweck eine öffentliche Debatte zu der Frage herbeizuführen, wie das Urheberrecht in einem „zivilisierten“ Internet aussehen könnte, das dem hohen Wert dieses Rechtsinstruments entspricht und die Interessen von Autoren und deren Verlegern mit denen der Leser und Nutzer effizient und gerecht ausbalanciert.
Meine Damen und Herren,
ich spreche von der Gefahr des Raubkopierens für die Buchkultur. Raubkopieren wird von großen Teilen der Öffentlichkeit als Kavaliersdelikt angesehen. In den Web-Foren kommentiert eine viel Zuspruch findende Internet-Gemeinde den Gang des Stockholmer
Prozesses entsprechend als Teilerfolg. Ist aber Urheberrecht ein Rechtsmodell von gestern? Brauchen wir tatsächlich keine Rechte-vermittler und –inhaber mehr? Sind die Verlage, die Institutionen der Musik- oder Filmindustrie durch das Internet überflüssig geworden? Lassen sich tatsächlich – wie munter behauptet wird - deren Dienstleistungen in gezielter Absicht auf den Vertrieb von Inhalten reduzieren, um den Eindruck zu erwecken, niemand brauche in Zeiten funktionierender Netztechnik noch vertriebliche Vermittler zwischen dem schöpferischen Produkt und seiner Verbreitung?
In Schweden, wo derzeit das Verfahren gegen The Pirate Bay läuft, gibt es seit 2006 eine eigenständige politische Partei, die Piratenpartei. Sie hat bei den schwedischen Parlamentswahlen immerhin 0,6 % der Stimmen gewonnen. Auf die Frage, wie Autoren ohne das Recht auf geistiges Eigentum Geld verdienen können, sollen die Piratenvertreter geantwortet haben, dass es noch nie leicht war, Künstler zu sein – ein Zynismus, der kaum zu überbieten ist und als dessen Resultat wir nur die kulturelle Vermüllung erwarten können.
Kultur wächst aus der Symbiose von Mensch und schöpferischem Werk. Was heißt das nach einem Jahrhundert eskalierenden technischen Fortschritts? Es heißt, dass die neuen Technologien, die unseren beruflichen und privaten Alltag erreicht haben, nun auch unsere Kultur bestimmen und sie verändern werden.
Aus drei wird vier: aus „Sprechen. Schreiben. Reproduzieren“ wird „Sprechen. Schreiben. Reproduzieren. Googlen“: Und damit kommen dringende Fragen: Wie finde ich die für mich richtigen Informationen aus der unendlichen Vielfalt des Angebotenen, worauf kann sich mein persönliches „Informationsmanagement“ stützen und zu einem auch inhaltlich prägenden Zugang zu Unterhaltung, Bildung, Wissenschaft und Kunst werden? Was erlaubt mir in Zeiten eines wachsenden „Cognitive Overload“ die Selektion, ohne die die Informationen sich gegenseitig totschlagen? Was macht das Angebot durchsichtig und unterscheidbar? Für welches Wissen brauche ich welche Bücher und Medien? Wird nicht in Zukunft die gezielte Suche und die dadurch ermöglichte Auswahl zu dem entscheidenden kulturellen Prozess, der aus der Masse der Bits Kultur entstehen lässt? Welche Verantwortung hat bei der Schaffung und Sicherung der dazu nötigen Strukturen die Politik – deutsch, europäisch, weltweit? Welche Rolle wollen wir unter den zukünftigen medialen Strukturen der Buchkultur zumessen? Welche Aufgabe haben die Verleger und Buchhändler?
Wer entscheidet beispielsweise, welches Buch als Suchergebnis ganz oben steht? Beugen wir uns der kritiklosen Herrschaft einer an Quoten und ökonomischen Margen orientierten Publikumsmanipulation? Oder sollten wir uns bei der Sicherung unseres Zugangs zur persönlichen Information und bei der Hilfe zur notwendigen Selektion nicht weiterhin denen anvertrauen, die diese Aufgabe seit über 200 Jahren transparent, öffentlich und mit dem Ziel einer vertrauensvollen Partnerschaft von Autor und Leser wahrnehmen – den Verlegern und Buchhändlern?
Sie vermögen ein Distributionsinstrument anzubieten und zu garantieren, das nach allen Erfahrungen am ehesten im digitalen Überfluss die Verbindung von bleibender Dauer, von inhaltlicher Orientierung und von Transparenz und Öffentlichkeit herstellt. Mit bereits jetzt etwa 100.000 Titeln und über 30 Millionen Buchseiten haben die im Börsenverein verbundenen Verleger und Buchhändler vor drei Jahren begonnen, eine Internet-Plattform für Bücher - Libreka - aufgebaut, die sich innerhalb kürzester Zeit zur größten deutschsprachigen Volltextsuche entwickelt hat - ein Downloadportal, über das digitale Bücher nach Maßgabe ihrer Autoren einfach und sicher erhältlich sind. Von dieser Leipziger Buchmesse an können zudem über Libreka die ersten E-Books gekauft und beladen werden.
Weshalb berichte ich Ihnen zur Eröffnung der Buchmesse so ausführlich und von der Gefährdung des geistigen Eigentums durch Raubkopieren und gleichzeitig vom Aufbau eines eigenen Downloadportals der Verleger und Buchhändler?
Je mehr das digitale Medium zur Herausforderung wird für alle, die mit geistigem Eigentum umgehen, um so mehr müssen wir – bei allem Paradigmenwechsel - die neuen medialen Möglichkeiten an jene geistigen und rechtlichen Standards binden, die das Buch- und Verlagswesen zum unverzichtbaren Teil neuzeitlicher Kultur hat werden lassen. Wir brauchen in Zukunft das Internet und wir wollen seine großartigen technischen Möglichkeiten nutzen, aber wir brauchen ein Internet, das Kultur ermöglicht und nicht zerstört, kulturelle Partizipation erlaubt und nicht erodieren lässt. Auch für das Netz muss der Grundsatz der Bücherwelt gelten: nicht die Masse der Informationen, sondern der Gedanke und das Erlebnis zählen, nicht die vielen, sondern das einzelne Buch! Denn wer im einzelnen Buch den Gedanken entdeckt und das Erlebnis erfährt, der weiß, was das ist, worauf sich „geistiges Eigentum“ bezieht.
In Leipzig gibt es diesen Sinn für das geistige Eigentum spätestens seit Gründung des Börsenvereins im Jahre 1825. Heute stellt Leipzig liest während der Messetage für interessierte Hörer undLeser weit über tausend Bücher in weit über tausend Veranstaltungen vor - deren Inhalte und deren Autoren. Das ist ein so deutliches Bekenntnis zum einzelnen Buch, wie es wohl nur hier vorstellbar ist. Lassen Sie uns diesen Leipziger Geist für das einzelne Buch von hier aus auch in das World Wide Web übertragen – dann wird die digitale Herausforderung zur großen Zukunftschance für das Buch.
In diesem Geist für das einzelne Buch habe ich auch die Zuversicht, dass das Buch in der zu erwartenden finanziellen Krisenzeit nicht an Bedeutung einbüßt. Heute morgen während der Pressekonferenz habe ich dies schon für das zurückliegende Jahr sagen können. Allerdings wird es künftig noch mehr auf die Qualität der Inhalte und auf deren gelungene Inszenierungen ankommen. Der Start ins neue Jahr 2009 ist mit einem Umsatzplus von 1,7% in den beiden ersten Monaten im Vergleich zum Vorjahr als gelungen anzusehen.
So wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren, eine erfolgreiche Leipziger Buchmesse 2009.