Hanns-Josef Ortheil wäscht dem Sortimentsbuchhandel den Kopf. Der wird dabei aber nicht nass. Denn er weiß längst: Ortheil hat recht. Im Prinzip.»Im Prinzip« ist den meisten Buchhändlern bewusst, dass auf Dauer nur Individualität jene Umsätze schafft, die das Überleben sichern. Warum auch sollten Kunden in eine bestimmte Buchhandlung gehen, wenn diese aussieht wie ihr Nachbar? Das Angebot nahezu identisch ist? Der Service nahezu gleich verschlafen? Das buchhändlerische Know-how gleich flach und rar bestellt? Sehen Sie, wissen Sie auch nicht. Deshalb steigen ja die Umsätze der Internetvertreiber so anhaltend und zweistellig.
###WERBUNG###
Menschen, die Bücher kaufen, um sie zu lesen, zu verschenken und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sind nicht irgendwelche Leute, die wir mit irgendwelchen Produkten und irgendwelchen Präsentationen als Kunden binden, als Freunde gewinnen können. Diese Menschen wollen Ansprache und Orientierung, Abwechslung und erlebbare Unterscheidung im Angebot. Für sie ist der Besuch einer Buchhandlung ein Stück Distinktion, ja: ein kleiner(!) sakraler Akt.
Ortheil platziert sein Konzept in eine Zeit, in der sich die kulturelle Teilung aller Märkte rasant und unumkehrbar vollzieht: Die Mitte wird – mehr oder minder – zerrieben. Es entsteht ein breiter, platter Fuß, bei dem die Preiskonkurrenz den finalen Verdrängungs- und Konzentrationswettbewerb befeuert. Oben entwickelt sich ein gesellschaftlicher Kopf, der sich nicht über das Haushaltsnettoeinkommen definiert – es entsteht eine Spitze, die ihr Selbstverständnis über Kultur, Herzensbildung und Welterfahrung findet, die Individualität, Extravagantes, Eigenwilliges sucht. Diese Spitze wird quantitativ breiter, weil ein Teil der alten Mitte sich nach »oben« orientiert.
Für diesen wachsenden Teil unserer Gesellschaft ist Ortheils Modell ein Angebot für Begegnung, intellektuelle Anregung und Austausch auf Augen- und Seelenhöhe. Es ist eine Antwort auf das Bedürfnis, als Einzelner wahr- und ernst genommen zu werden, als Mensch, nicht als gesichtsloser »Konsument« und Kassenfüller.
Auch der Buchhandel kann sich dieser Teilung der Märkte nicht entziehen. Jeder selbstständige Buchhändler muss sich, wenn nicht heute, dann morgen, entscheiden, wo er sich für welche Klientel wie positionieren will und kann. Die Probleme der gesichtslosen Großflächen nehmen zu: Eingeklemmt zwischen steigenden Kosten und Renditeerwartungen, dem vermeintlichen Zwang, alles präsentieren zu müssen, ohne es damit allen recht machen zu können, sind sie kaum in der Lage, die umsatzträchtige Grup-pe der Vielleser und Buchvielkäufer zu gewinnen. Die Großflächen stehen vor den gleichen Problemen wie das auslaufende Modell »Kaufhaus«: Sie binden vielleicht jene Kunden, die den hageren Euro drehen müssen – mehr aber kaum. Und das ist zu wenig.
Dagegen entwirft Ortheil die Buchhandlung als Persönlichkeit mit Haltung und Charakter. Das ist nicht neu: Sein Konzept folgt dem Grund-gedanken dereinst vorhandenen buchhändlerischen Selbstverständnisses, dem »Sortieren« für die eigene Klientel, selbstbewusst, kenntnisreich, lustvoll. Ortheil er-innert: Es liegt kein Heil im Allerlei. Ortheils Buchhandlung agiert als Person, die auf das ewige Größer, Schneller, Dümmer der Märkte mit subjektiver Reduktion auf Qualität antwortet. Dieser Mut zu Subjektivität und Urteil bietet Kunden Reibung und Debatte – eine solche Buchhandlung ist eine Plattform kultureller Begegnung, die viele längst vermissen. Müßig, dem Autor, der Buchhändler wird, Erfolg zu wünschen. Den wird er haben – nur die Fehler im Wie des Machens können das verhindern.