E-Books

"Alles andere als kundenfreundlich"

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Kaum ist der von Sony als "Buch der Bücher" gepriesene Reader PRS 505 im Handel, sparen Journalisten und Nutzer nicht mit Kritik. Der Download von E-Books sei wegen des umständlichen und kundenunfreundlichen Handlings eine Zumutung für die Kunden, meint c't-Redakteur Jürgen Rink, der gerade den Sony Reader auf Herz und Nieren prüft. Boersenblatt.net sprach mit ihm über den E-Book-Markt, die Kundenfreundlichkeit der Geräte und die Tücken der Vertriebs- und Geschäftsmodelle..

Fast alle Publikumsmedien melden, dass mit dem Start des Sony Reader in Deutschland das E-Book-Zeitalter anbreche. Ist der Sony Reader überhaupt schon markttauglich?

Rink: Der Sony Reader PRS-505 ist nicht der erste seiner Art und nicht der modernste. Es gibt in Deutschland bereits ein halbes Dutzend andere Lesegeräte mit ganz ähnlichen Displays aus elektronischer Tinte. Was anders ist als früher: das Leseangebot, das damit verknüpft ist. Damit beginnt tatsächlich das E-Book-Zeitalter in Deutschland, denn vor dem 11. März war es nicht möglich, sich Bestseller auf legalem Wege digital anzeigen zu lassen.

Glauben Sie daran, dass in den nächsten Monaten und Jahren ein nennenswerter E-Book-Markt im Publikumsgeschäft entsteht?

Rink: Den E-Book-Markt gibt es ja schon in den USA. Amazon und E-Book-Reader Kindle zeigen, dass die Leute durchaus bereit sind, digitale Inhalte auf dem Reader zu lesen, wenn das Angebot stimmt: Mehr als 240.000 Titel bietet Amazon an. Die Belletristik-Titel verkaufen sich gut, genaue Zahlen hält Amazon aber unter Verschluss. Glaubt man den Analysten, dann beträgt der Umsatz  E-Books in den USA im dritten Quartal 2008 knapp 14 Millionen Dollar. Es müssen also wirklich viele Leute sein, die sich E-Book-Editionen kaufen, um sie dann auf ihrem Kindle zu lesen.

Und wie ist es hierzulande? 

Rink: Das auf Deutschland zu übertragen, geht schief. Der Kauf und die Handhabung eines E-Books ist in den USA mit dem Kindle sehr viel einfacher als das komplizierte System, das sich Sony und die Verlage zum Marktstart ausgedacht haben. Die deutschen E-Book-Fans haben es sehr viel schwerer als die Amerikaner und brauchen Geduld, um elektronische Bücher zu kaufen. Dennoch glaube ich, dass in den nächsten Monaten wesentlich mehr Menschen auf Readern lesen als das bisher der Fall war. 

Sie testen gerade den Sony Reader, andere im Handel erhältliche Reader haben Sie bereits früher getestet. Welchen wesentlichen Unterschied gibt es zwischen den Geräten?

Rink: Das Angebot kann man in zwei Klassen einteilen: Die drei iLiad-Reader von iRex Technologies haben Zusatzfeatures, die das Gerät ziemlich teuer machen – ab 500 Euro. Sie verfügen über einen Touchscreen, der mir das Markieren von Text und das Anlegen von Notizen erlaubt. Eine Version hat WLAN integriert, um bequem drahtlos Inhalte zu beziehen. Die zweite Gruppe von Readern, zu der auch der Sony Reader PRS-505 gehört, sind reine Lesegeräte, die nicht viel mehr können als Buchseiten anzeigen oder Hörbucher abzuspielen. Dazu zählen auch Cybook und BeBook. Mit einem Preis von rund 300 Euro sind diese Geräte deutlich günstiger. Alle diese Reader eint übrigens das nahezu gleiche Display von E-Ink. Schrift sieht darauf aus wie auf hellgrauem Umweltschutzpapier gedruckt, zum Lesen braucht man wie beim gedruckten Buch eine externe Lichtquelle.

Welchen Geräten trauen Sie eine Etablierung im Markt zu?

Rink: Das hängt vom Preis und vom Angebot ab. Knapp 300 Euro für das günstigste Gerät und das Doppelte für den iLiad mit WLAN – das ist noch ziemlich hoch. Doch wenn das Content-Angebot stimmt, das wegen der Software leider meistens mit einem bestimmten Reader verknüpft ist, dann werden Kunden auch diese Preise akzeptieren.

Wie kundenfreundlich sind die E-Reader, die es jetzt in Deutschland zu kaufen gibt?

Rink: Der Sony Reader ist bedienerfreundlich, die Prozedur, um ein E-Book von einer der Verkaufsstellen – ob Libri.de, Thalia.de oder irgendein anderer E-Book-Händler – zu kaufen, dagegen kundenfeindlich. Man sollte ein versierter Computernutzer sein, um E-Books für seinen Sony Reader zu kaufen und auch noch in ein paar Jahren Zugriff auf die gekauften Werke zu haben. Der Grund für die komplizierte Prozedur ist der Kopierschutz, den sich die Unternehmen ausgedacht haben. Das ist in meinen Augen das größte Hindernis auf dem Weg zum E-Book-Massenmarkt.

Was muss man denn tun, um an ein gekauftes E-Book heranzukommen?

Rink: Wer den Sony Reader auspackt, findet eine CD, auf der man erfährt, dass zunächst die Software Sony eBook-Library auf dem PC installiert werden muss. Diese eBook-Library verweist bereits mit Links auf die Online-E-Book-Shops von Thalia.de, Libri.de, zur Mayerschen und sogar zu einer Liste mit Buchhändlern in der geografischen Nähe, wenn ich die PLZ eingebe.

Ja wunderbar, denke ich, jetzt kann ich mir ein E-Book kaufen, staune vielleicht über den hohen Preis, denn die E-Book-Preise unterscheiden sich kaum von den Printpreisen. Seis drum, ich kaufe, bekomme dann aber statt des E-Books nur eine 1 Kilobyte kleine Datei, die nichts weiter als ein Link ist. Ach so, bevor ich nun ein E-Book im EPUB-Format lesen kann, muss ich zunächst von Adobe die Software Digital Editions laden und installieren. Der Link wird dann da rein geladen, das E-Book darauf automatisch runtergeladen und sofort in Digital Editions angezeigt.

Um aber dieses E-Book auf den Sony E-Book-Reader zu bekommen, muss ich mich für Digital Editions registrieren, indem ich mir eine sogenannte Adobe ID hole. Das sollte man unbedingt tun, bevor man sein erstes E-Book kauft. Macht man's umgekehrt (das E-Book kann auch ohne Adobe ID in Adobe Digital Editions angezeigt werden), dann ist das E-Book weg, sobald man die Adobe ID eingegeben hat - die 16,90 Euro hat man dann zum Fenster herausgeworfen.

Und der Kunde hat keine Möglichkeit zur Reklamation?

Rink: Das haben wir noch nicht durchgespielt. Wie kulant die Unternehmen das handhaben, kann ich deshalb nicht sagen. Aber wenn ich ein Buch kaufe, bevor ich die Registrierung bei Adobe vorgenommen habe, ist das E-Book unbrauchbar.

Und wie geht es nach der Registrierung weiter?

Rink: Ich brauche die Adobe ID, um die Digital Edition und auch den Sony Reader, den Digital Editions wegen der vorher installierten Sony eBook Library erkennt, freizuschalten. Soll heißen, die E-Books werden für die Digital-Editions-Software und für den Sony Reader verschlüsselt. Das so verschlüsselte E-Book (eine solche Datei ist meist knapp 1 Megabyte groß) kann ich auf das Sony-Reader-Symbol in Digital Editions schieben. Heureka, es ist vollbracht, schon kann ich das Werk lesen! Vorausgesetzt, man hat das an einem Windows-Rechner durchgespielt.

Für Mac- oder Linux-User stellt sich also ein zusätzliches Problem?

Rink: Linux-Nutzer bleiben ganz außen vor, weil sie keine verschlüsselten EPUB-E-Books laden können. Für Mac-User gibts einen Trick, für den einmalig der Zugang zu einem Windows-Rechner oder einer virtuellen Windows-Umgebung im Mac OS notwendig ist: Die Sony eBook Library gibts nur für Windows. In diesem Windows schaltet man per Adobe ID die darauf installierte Digital Edition und Sony Reader per eBook Library einmalig frei. Digital Editions läuft auch auf dem Mac OS, die schaltet man mit derselben Adobe ID frei (das Verfahren erlaubt bis zu sechs Freischaltungen) und schon kann man E-Books kaufen. Da die eBook-Library nicht existiert auf Mac OS, erkennt Digital Editions den PRS-505 nicht. Abhilfe: Das geladene E-Book kommt auf eine Speicherkarte, die der Reader lesen kann (Memory Stick oder SD-Card).

Werden wenig technikaffine Nutzer durch diese Prozedur abgeschreckt?

Rink: Ganz klar, die technikaffinen aber auch. Mal aus einer anderen Perspektive betrachtet: Um einen Bestseller zu lesen, muten die Verlage und Sony dem Käufer ein Rechtesystem zu, das alles Andere als kundenfreundlich ist. Warum sollte ich zum Beispiel 16,90 Euro für ein E-Book zahlen, das an bestimmte Software und an bestimmte Geräte gekettet ist, wenn ich freie E-Books mit einem Klick laden kann? Das ist illegal, aber möglich. Egal wie das DRM beschaffen ist, es gibt den Verlagen keine Sicherheit, denn es ist ein Leichtes, von den EPUB-E-Books Kopien anzufertigen, obwohl kopieren und drucken nicht vorgesehen ist.

Indem der Kopierschutz dem E-Book-Käufer kein Kauferlebnis, sondern ein kompliziertes Verfahren zumutet, öffnet man illegalen Downloads Tür und Tor. Das hatten wir alles vor Jahren schon mal, als die Musikindustrie alles daran setzte, das Internet zu stoppen. Vergeblich wie wir wissen, heute wird kopierschutzfrei Musik verkauft. Der Lernprozess hat diese Branche Milliarden gekostet. Warum die Verlagsbranche glaubt, den gleichen Kampf im Jahr 2009 zu gewinnen, erschließt sich mir nicht.

Sind Reader und Vertriebsmodelle, die mit offenen Standards arbeiten, den DRM-geschützten überlegen?

Rink: Ja. Aber ich will jetzt nicht das DRM verteufeln. iTunes ist beispielsweise trotz DRM sehr beliebt geworden, weil das Verfahren für den Nutzer sehr einfach ist. Außerdem sollte man über alternative Schutzmechanismen nachdenken wie beispielsweise digitale Wasserzeichen. Hier ist Libreka! Vorreiter, wenn auch einer mit Stolpersteinen. Pünktlich zur Leipziger Buchmesse hat das Portal E-Books als PDFs im Shop integriert. Ob das Libreka!-E-Book-Format PDF das passende für mobile Lesegeräte ist, bezweifeln viele, aber das Rechtemanagement von Libreka! zeigt in die richtige Richtung: Das PDF hat ein Wasserzeichen und ist frei kopier- und verleihbar und nicht an bestimmte Software gebunden. Die Stolpersteine: Libreka! versteckt die angeblich tausenden von E-Books nahezu perfekt, denn die Suche nach E-Books ist im Online-Shop nicht möglich. Vielleicht stolpert man bei der Suche nach einem bestimmten Buch zufällig über eines... Das ist für mich übrigens ein weiteres Indiz, dass die Branche ihren Umgang mit E-Books noch nicht gefunden hat und eher zögerlich agiert.

Was passiert, wenn Amazon überraschend schnell in den Wettbewerb einsteigen sollte. Würde das die Verhältnisse auf den Kopf stellen – schon allein wegen der Masse an Content, die Amazon für den Kindle bereit hält?

Rink: Damit ist zu rechnen. Es ist wesentlich einfacher, sich das Lesematerial für den Kindle zu besorgen als für den Sony Reader und das Angebot, zumindest in den USA, ist riesig. Wenn es Amazon wirklich gelingt, Verträge mit Mobilfunkprovidern in Deutschland zu schließen, dann bietet mir der Kindle, der derzeit einen kostenlosen mobilen Zugang zum Shop hat, das fortgeschrittenere und bessere Vertriebsmodell. Ich kann mir mit dem Kindle überall ein Buch kaufen, einfach und sofort - trotz DRM übrigens. Das akzeptieren die Kunden offensichtlich in den USA, weil die Prozedur so elegant einfach ist.

Interview: Michael Roesler-Graichen 

Zur Person
Jürgen Rink ist E-Book-Experte bei c't und leitender Redakteur der c't specials.