Bei der vom bewährten Team Katrin Bauerfeind und Jörg Thadeusz moderierten Veranstaltung konnte man zweierlei lernen: Zum einen, dass sich die Hörbuchlandschaft scheinbar stark an der Filmindustrie orientiert. Das zeigt schon das Unterfangen einer im Fernsehen ausgestrahlten, abendfüllenden Preisverleihung mit Unterhaltungscharakter. Das zeigt aber auch die Auswahl der Gewinner: Mit Judith Lorentz’ Bearbeitung von Louis Pergauds „Der Krieg der Knöpfe“ und Sven Strickers Hörspiel zu Sven Regeners „Herr Lehmann“ wurden Stoffe ausgezeichnet, zu deren großem Erfolg exzellente Verfilmungen beigetragen haben. Regisseurin Lorentz geriet im Gespräch auf der Bühne dann auch ins Schwärmen über den berühmten Film aus dem Jahr 1962, gab zu, Anfangs nur ihn und nicht das Buch gekannt und ganze Szene übernommen zu haben. Sven Stricker hingegen hat Leander Haussmanns „Herr Lehmann“-Film bis heute nicht gesehen: „Das hätte mich nur unter Druck gesetzt.“
Mit der Auszeichnung von Maximilian Schönherrs „Stammheim-Bändern“ sprang man zudem auf den rollenden Zug des Kinoereignisses „Baader-Meinhof-Komplex“ auf. Und den größten Show-Effekt erreichte die Verleihung mit der Auszeichnung bekannter Schauspieler, die sich nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch ihrem Gesicht ins Gedächtnis des Publikums gespielt haben: Manfred Zapatka, bekannt aus vielen Tatorten, Dieter Wedels „Der große Bellheim“ oder „Das Himmler-Projekt“, wurde für das Mammutprojekt „Ilias“ ausgezeichnet, bei dem er binnen drei Jahren Homers Versepos seine Stimme verlieh. „Die ‚Ilias’ übertrifft jeden Kriegsfilm, jeden Liebesfilm“, schwärmte er, „und Raoul Schrott hat das in seiner Neuübersetzung lesbar gemacht.“ Noch glamouröser geriet der Auftritt der früheren Fassbinder-Muse Irm Hermann, die – ausgezeichnet für ihre akustische Darstellung der Nazi-Gattin Emmy Göring – den divenhaften Charme der großen deutschen Schauspieler-Gilde ins Funkhaus brachte. Und nach etwas zurückhaltenden Äußerungen im Interview so lange ehrlich beteuerte, wie sehr sie sich über den Preis freue, dass man es ihr letztendlich doch abnahm: Dass der Deutsche Hörbuchpreis selbst im Leben einer Irm Hermann ein besonderes Ereignis ist.
Der zweite Lerneffekt der Veranstaltung, die im Programm des Literaturfestivals lit.COLOGNE stattfand, war ein durchaus beruhigender: Die Hörbuchlandschaft ist kein Anhängsel der Filmindustrie, sie taucht auch tief in der literarischen Schatzkiste, frischt vermeintlich verstaubtes Kulturgut auf und holt es zurück ins kulturelle Gedächtnis. Das beweist die grandiose Neuvertonung des „Kriegs der Knöpfe“, das beweist das minimalistisch unterkühlte Klangkunstwerk, das ein Team um den Regisseur Ulrich Lampen und den Musiker Zeitblom auf Grundlage von Célines „Reise ans Ende der Nacht“ geschaffen haben. Das zeigt nicht zuletzt auch die ausführliche Würdigung, die der Zweitausendeins-Verlag am Abend für sein Programmsegment „Dokument“ erfuhr, das oft verloren geglaubte Tonarchive ans Tageslicht bringt. So erklang auf der Verleihung die Stimme des dadaistischen Dichters Karl Schwitters. Von zwei zerbrochenen Schelllack-Platten hatte man das „Urwerk“, eine Urform seiner „Ursonate“ gerettet. Da reichte plötzlich allein eine Stimme, eine rauschend-knisternde gar, um das Publikum in den Bann zu ziehen.