E-Book

Jetzt mal den Schirm schön flachhalten

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
So langsam führt der Medienrummel um das E-Book zu flächendeckenden Wahrnehmungsstörungen. Eine Polemik.

Die anwesende Presse – und es war erstaunlich viel Presse anwesend – stürzte sich in einem wahren Blitzlichtgewitter auf den kleinen E-Book-Silberling von Sony, der da während der offiziellen Präsentation bei Thalia in Berlin in den Händen von Top-Model Franziska Knuppe schlummerte. Fiel die Wahl auf sie, weil sie auch so schlank und rank ist wie das flache Lesegerät? Nein. „Sie steht für die Zielgruppe, denn als Model ist sie nicht nur viel unterwegs, sie ist auch eine Vielleserin.“ Ach so, na dann. Aber so schön präsentiert überstrahlte das alle Zweifel, auch den klaren Blick, dass beim Vergleich zwischen Buch und E-Book letzteres eher unglücklich abschneidet, und das liegt nicht nur am veralteten Modell PRS-505, mit dem Sony hierzulande den Fortschritt einläuten will. Wäre dementsprechend nicht Johannes Heesters ein geeigneteres Model gewesen?

Den Vergleich zwischen Buch und E-Book darf man im Zeitalter einer globalen Wirtschaftskrise, deren Zenit längst noch nicht erreicht scheint, gerne mal unter ökonomischen Gesichtspunkten ziehen. Gut, im Buch selbst ist das Lesegerät quasi schon mit eingebaut – es fällt also preislich in die Differenz zwischen dem Preis fürs Buch und dem Preis für den E-Buch-Download. Bei Thalia und den dort als E-Buch angebotenen Bestsellern von Stieg Larsson oder Stephenie Meyer liegt die effektive Ersparnis im Moment bei 0 – in Worten: null – Euro. Das bedeutet: Für den Akt des Medienwechsels gibt der Leser 299,- Euro aus, spart damit aber nichts beim Erwerb der Inhalte. Aber das soll sich ja schnell ändern.

Gehen wir mal davon aus, dass sich die Verlage in Bälde darauf verständigen, den Preis für elektronisch publizierte Inhalte fühlbar unterhalb der Buchpreise anzusiedeln – Pascal Zimmer von Libri empfiehlt 10 % bis 20 % unter dem Ladenpreis der vergleichbaren Buchausgabe. Den Mittelwert von 15 % angenommen, bedeutet das bei einem Hardcover von 19,90 Euro einen E-Buch-Preis von gerundet 16,90 Euro. Ersparnis: drei Euro. Die Rechnung ist einfach: Das 100ste Buch ist der private Break even, jetzt spart der Leser. Setzen wir das in Relation mit dem Einkaufverhalten der Gruppe der Power-Buchkäufer, der Gruppe der 20-29j-ährigen mit durchschnittlich 4,7 gekauften Büchern pro Jahr, dann lohnt sich die Hardware-Investition in ein E-Book nach genau 21 ein viertel Jahren: Selbst ein Finanzberater der Lehmann Bank hätte das nur schwerlich zu einer lohenden Investition hinbiegen können.

Ich gebe zu, der Vergleich hinkt. So ein kleines Speicherwunder ist ja auch eher für die echten Leser gedacht, die quantitativ weit über dem Einkaufsdurchschnitt von 4,7 liegen. Die mehr kaufen und mehr lesen. Nur hat man aus dieser Gruppe noch kein jahrelanges Klagen darüber gehört, wie unbequem und unhandlich doch diese Bücher seien und wo endlich mal eine technologische Verbesserung Platz schaffen würde in diesen hässlichen Bücherregalen.

Aber es sind ja nicht nur die nackten Tatsachen, die fürs eBook sprechen sollen, sondern auch die inneren Werte. Ein Vorteil wäre, dass man nun den Speicher voller Bücher, im E-Pub-Format rund 160,  parallel lesen könne. Aber will man das? Macht man das? Kann man das? Eine aktuelle Umfrage von Allensbach ergab, dass nur 14 % aller Befragten überhaupt mehrere Bücher gleichzeitig lesen – der Großteil beschränkt sich dann wohl auf zwei. Aber wozu brauchen sie dann einen derartigen Speicher? Vor allem, wenn der kleine Zauberkasten nicht mal in der Lage ist, einem die bisherige Handlung als Erinnerungsstütze mal eben knapp zusammenzufassen?

Na gut, vielleicht auch die falschen Zahlen. Denn das E-Book ist ja am ehesten für die Technikaffinen, die Trendsetter, die, die allen Neuerungen aufgeschlossen gegenüberstehen und sie als erstes haben wollen, die iPhone-Besitzer, die – oh, aber genau die brauchen ja gar kein E-Book, die haben ja die kostenlose Software Stanza, die ihr iPhone zum Lesegerät macht, und bei amazon gibt es die kindle-Software fürs iPhone ebenfalls umsonst. Schon jetzt liegen die beiden Zugriffszahlen in den USA höher als die eher großzügig geschätzte Verkaufszahl des Kindle von über 350.000 Geräten. Was dann der stolze E-Book-Besitzer ist? Der verlachte Dummbatz, der in den Augen der Apple-Jünger viel Geld auf einen lahmenden Gaul gesetzt hat.

Auch das relativiert die im „Trendbericht Kinder- und Jugendbuchmarkt“ auf der Leipziger Buchmesse getroffene fröhliche Voraussage, 2020 würden sich die Jungs ums Lesen auf den E-Books prügeln, weil das ja jetzt viel cooler sei, während die Mädchen noch immer in abgegriffenen Hannis und Nannis blättern. Seit dem Welterfolg des iPod haben Max Greger und Marika Röck auch keine Renaissance unter Teenies erfahren. Uncool bleibt uncool, da helfen auch keine Bildschirmchen.

Ein letztes noch. Das Kinderzimmer ist in weiten Teilen schon digitalisiert. So wie Kinder mit Telefonwählscheiben nichts mehr anfangen können, so irritiert blicken sie auch auf Langspielplatten und Kompaktkassetten. CDs und Datenträger sind gang und gäbe, sie haben die anderen Medien vom Einstieg an ersetzt, der Umgang mit ihnen ist gelernt. Bei Büchern wird das schwierig. Das beißfeste Buggy-eBook? Fühl-E-Bücher? E-Pop-ups? Das bunte und großformatige Bilder-E-Book? Davon ist die Technik noch weit entfernt und wird es auch bleiben. Gelernt ist, wenn es denn von Hause aus dazu kommt, der haptische Umgang mit analogen Büchern. Wo, bitteschön, findet dann der Übergang zum E-Book statt? Gibt es den? Wer das weiß, darf sich melden. Der hat womöglich den Schlüssel dafür, aus dem E-Book den Erfolg zu machen, den die mediale Berichterstattung beinahe schon herbeifleht. Für alle anderen heißt es wohl weiterhin: Als Hardcover oder im Taschenbuch?