Meinung

Wer Sorgen hat, hat auch Likör

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Dass Bücher helfen, ist ein schöner Gedanke. Aber stimmt es auch? Von Jochen Jung.

Gerade wenn die Zeiten schlechter werden, greifen die Menschen vermehrt nach dem Buch.« Haben Sie das nicht auch in letzter Zeit immer öfter gehört, mit beifälligem Nicken, weil es doch genau so ist? Ja, haben Sie es nicht womöglich dann und wann – gefragt, wie es denn um alles in der Welt bloß weitergehen solle – selber gesagt? Vielleicht haben Sie durchaus das Gefühl, dass dieser Satz eher eine Art Mantra ist als eine reale Situationsbeschreibung, aber trotzdem sagen Sie es gern noch einmal, weil der Satz so etwas Tröstliches hat und weil er sie irgendwie auch rührt.


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Es sind ja nicht die Statistiker, leider nicht, die so etwas sagen, es sind vielmehr die Buchhändler und vor allem die Verleger, von denen das zu hören und da und dort sogar zu lesen ist. Wobei dieses »Greifen nach dem Buch« ja nicht von ungefähr mehr an das »Greifen nach dem Rettungsring« erinnert als an das Hinlangen nach dem einen oder anderen Roman oder Ratgeber, nachdem man die Fernsehzeitschrift beiseitegelegt hat.
Man traut dem Buch offenkundig schamanenhafte Kräfte zu, die sänftigend, ja heilend wirken können. Wo alles andere, oder jedenfalls das meiste, versagt, da hilft immer noch DAS BUCH. Dabei hat man sich zwar seit Gutenbergs Erfindung alle Mühe gegeben, die wirklich helfenden Texte durch Schmarren und Schmonzes zu ersetzen, und hat das zu sagen wir mal drei Viertel aller Titel ja auch geschafft, aber die Aura des Buches blieb davon durch die Jahrhunderte unangetastet. Bücher sind immer noch etwas anderes als die sonstigen Dinge, mit denen wir unseren Alltag bestücken. Bücher – und daran bemerkt man nicht zuletzt ihre Heiligkeit – sind vielmehr, sagen wir mal, wie Brot: Man wirft sie nicht einfach weg.
Bücher helfen – ein schöner Gedanke, in der Tat. Aber gilt das auch für all jene Nicht-Leser, die schon unter freundlichen Umständen gern sagen, dass nach einem arbeitsreichen Tag Lesen nun wirklich nicht das Richtige für sie ist? Und, ehrlich: Ist Kummer nicht so ziemlich der rücksichtsloseste Konzentra­tionsverhinderer, den wir haben? Ziehen Sorgen nicht alles Denken und Sinnen auf sich, sodass man, wenn man es dennoch versucht hat, eine Seite liest und am Ende noch mal von vorn beginnen muss, weil man die Sätze gar nicht begriffen hat, über die die Augen da hinweggeglitten sind?
Mit anderen Worten: Greift man, wenn einem das Herz schwer und die Börse leicht ist, nicht zu ganz was anderem als ausgerechnet zu Büchern? Heißt es doch bei Wilhelm Busch, unserem weisesten aller Spötter, nicht von ungefähr ungefähr so: »Es ist ein Spruch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör.« Und keineswegs heißt es: »Es ist von alters her ein Spruch: Wer Sorgen hat, greift nach dem Buch.«
Tja, da sitzen wir also mit unserem Likörglas in der Hand, drehen es hin und her und wissen nicht recht weiter. Und dabei fällt unser Blick auf die Bücherregale, und wider allen besseren Wissens denken wir: »Ist es nicht so, dass die Leute, gerade wenn die Zeiten schlechter werden, vermehrt nach dem Buch greifen?«
So sind wir, und so werden wir auch bleiben: unverbesserlich. Und solange wir da zugunsten des Buches fantasieren, gibt es ja auch gar nichts zu verbessern.

Sind Bücher Gewinner der Krise? Oder ist das nur ein frommer Wunsch?