Meinung

"Das Antiquariat ist ein ganz entschieden erotischer Ort!"

9. April 2009
Redaktion Börsenblatt
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, nicht nur in der Karwoche! Plädoyer für ein individuelles, profiliertes, starkes und lustvolles Antiquariat. Von Otto W. Plocher, Antiquar in Achterstadt.

"Dass er für die Träume seiner Jugend soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird" (Schiller, Marquis Posa)

Im Folgenden einige persönliche Confessiones zum Antiquariatsgeschäft, aus gegebenem Anlass seines oft besungenen, schleichenden Niedergangs.

Das klassische Antiquariat wird in die Zange genommen. Auf der einen Seite dräuen E-Books, Online-Massenanbieter mit gespenstigen Beständen und einer noch gespenstischeren Preisgestaltung, todesverachtend ramschende 'Buchhandels'ketten, habgierig feilschende Privatanbieter, Finanzkrisen und humanistischer Werteverfall, auf der anderen Seite locken grossohausmäßige Fulfillment- & Service-Center, die dazu einladen, den eigenen lästigen Buchbestand zum Verwalten einzulagern, und Preisroboter, die jede Walter Benjamin-Erstausgabe automatisch auf 0,01 Euro setzen. Die Suche der Internet-Antiquare nach dem heilsbringenden Tool des Amazonienhimmels trägt längst eschatologische Züge, auch wenn sich die Parusie-Erwartung etwas verzögert. Lasst uns ein Gebet für die Kollegen sprechen, während sie auf ihrer virtuellen Galeere ächzen! Oder sind sie es, die alle anderen zum Schluss gar überleben werden? Egal wie: Es wird ein Sterben anheben unter den vom ZVAB verzeichneten "über 4100 professionellen Antiquaren aus 27 Ländern", und letztlich ist das nur konsequent: Gestorben werden muss!

Ich durfte als Mitmoderator der XING-Gruppe "Antiquarischer Buchhandel" einige lebhaft geführte Kontroversen à la "Antiquar vs. Gebrauchtbuchhändler", "Edelantiquar vs. Ebay-Ritter" miterleben. Mein Fazit: Ich erkenne alle Geschäftsmodelle, ob Massenversender, Inkunabelmakler, Bookhunter oder Flohmarktschieber an als pflichtschuldige Ausdrucksformen ökonomischer Lebenserhaltung. Was aber die darüber hinausgehenden Ansprüche betrifft… Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, nicht nur in der Karwoche! Für mich – ich rede jetzt wohlgemerkt pro domo – verläuft die Grenze zwischen "dem vollötigen Antiquariat" und "dem unbeseelten Altbuchhandel" erkennbar hier:

Vollötige Antiquare sind für mich Kollegen, die a) sich inhaltlich und bibliografisch mit ihren Beständen intensiv beschäftigen, von den Büchern innerlich berührt werden und darüber qualifiziert Auskunft geben können (geistige Auseinandersetzung mit Kultur- und Buchgeschichte), die im besten Falle in ihrem Bücherkosmos leben und b) neben ihren allgemeinen Beständen sich ein individuelles Angebotsprofil erarbeitet haben, zu dem sie folgerichtig stehen, und ich meine innerlich und unverbrüchlich stehen, notfalls gegen tempter & tempest!

Wie? Da blieben dann ja nicht mehr ganz so viele übrig? Non è possibilie!

Zur Erläuterung: Ich habe mich schon immer königlich über die (auch auf Messen und Auktionen zu beobachtende) Heringsbändiger-Mentalität amüsiert, sog. gut verkäuflicher, 'frischer' Ware hinterherzujagen: möglichst viele Kollegen hinter einem Buch, ein schauderhaftes Schauspiel; und ich war schon immer bass erstaunt über die divinatorische Intelligenz, alle halbe Jahre das feine Näschen zielsicher in den Wind zu halten um herauszuschnopern, wo man 'jetzt' wem was am besten verkaufen könne, welche Ware denn jetzt gerade besonders angesagt sei und auf welcher Internet-Plattform "nichts mehr laufe". "Heute Blaeu-Atlas der inneren Mongolei gefragt, aber nur mit der altcolorierten Stadtansicht von Ulan-Bator, dagegen Inkunabeln in Oktav begehrt wie Hund" – "Heute Blaeu-Atlanten tödlich, Persica jedoch wunderbar": Mein Gott, ist das alles lächerlich. Der beste Antiquar ist dann wohl derjenige, der die Markt-Mimesis am gesichtslosesten beherrscht? Der Nach-Schaffer, der Nach-Äffer? Oder derjenige, der den Fuß immer als erster in der (elektronischen) Tür eines neuen Vertriebswegs hat? Der wohlhabendste vielleicht, das mag schon sein. Wenn's um die $$ in den Augen geht: Aufauf! Die Puppenkoch-, Eisenbahn-, Japanreise-, Bilder-, kyrillischen Mal-, Raumbild- und Fotobücher warten nicht! Schnell, den begehrten Knochen hinterhergehechelt! Die Manga-Comics, bald schon die E-Books, zackig collationiert und zur Internet-Auktion geschafft! Mit Würde, Anmut, stiller Größe, auch sich selbst gegenüber, hat das wenig zu tun. Man verlege sich auf den Handel mit lukrativeren Warengütern wie Ü-Eiern oder Cartier-Uhren.

Wie oft habe ich gerade mit abseitigen Büchern, von denen alle 'Kenner' abrieten, ökonomische Erfolge landen können, weil sie mir und meiner Art des Antiquariats entsprachen und ich den Kunden dies glaubhaft vermitteln konnte, und wie oft bin ich mit stark recommendierten Sachgebieten, die sich 'wie von selbst verkaufen' sollten, erfolglos hausieren gegangen. Diese fantasie- und profillose Hörigkeit gegen die Ohrenbläserei eines behaupteten, präformierten Marktes einerseits, dieses hilflose Rühren in EDV-gestützter Distributionstechnologie andererseits!

Bei uns Antiquaren (ich zitiere hier einen großen Kollegen) liegt "der Stein der Weisen doch immer noch in der selbstgewählten Autonomie, sich im lustvollen Umgang mit Bedrucktem und Kunden die Subsistenz zu erarbeiten".

Man schaffe sich Kenntnisse um ein eigenes Gebiet, hinter dem man inhaltlich und buchgeschichtlich vollötig steht! Das man mit Leib und Seele verkörpert, das die eigene Existenz spiegelt und ausfüllt! In dessen Tiefen man sich einarbeitete, dessen feine Verästelungen man durchlief, dessen subtile Konnotationen man einzeln und in toto schmeckte! Ein Gebiet (sei es, wie es sei), mit dem man sich den eigenen Markt macht und nicht einen opaken Markt nachäfft: Köstlichstes Ziel alles antiquarischen Strebens! Und man gehe mir mit dem Hinweis, davon könne man nicht leben. Vielleicht nicht gleich, vielleicht wird's immer schwer bleiben. Aber welche Genugtuung, es überhaupt zu können und der Buchhandelswelt das eigene Gepräge geben zu dürfen. Duskola tà kalá!

Natürlich soll man auch 'Das Andere' machen. Ich biete selbstverständlich auch ein paar 1.000 Titel Varia an (die billigen im Internet), darunter Bücher, bei denen sich das englische Furnier auf den Tischen kräuselt. Auch schöne, teure Werke, die außerhalb meiner Interessengebiete liegen und mich trotzdem nähren. Das ist alles legitim und gut und richtig. Aber das ist nicht der Kern meiner antiquarischen Arbeit. Der besteht darin, meine Schwerpunkte zu pflegen, auch wenn's punktuell beschwerlich werden kann. Wie leicht verdient man 500 Euro mit Büchern, die einem selbst uninteressant sind, und wie schwer ist es manchmal, aus dem geliebten Spezialtitel, den man schon zu teuer erwarb, eine adäquate Rendite zu erwirtschaften. Aber diese Rendite zählt doppelt und dreifach! Diese Tätigkeit macht für mich, in dem man unschwer den ehemaligen Sammler und wohl auch Geisteswissenschaftler erkennen kann, den Antiquar aus. Lieber will ich (ich übertreib' etwas), gestützt auf meine Herder-Ausgabe zur Rechten, meine Fabricianische Bibliotheca Graeca zur Linken, stehend an Auszehrung darben als "Ich will nur noch Geld, alles andere ist Ersatzbefriedigung" krakeelen und mich an schmacklosem Leipziger Allerlei dick & rund essen.

Oh, es gibt in unserer Zunft noch einige Recken des alten Schlags, Männer und Frauen, die ihre Bücher lieben und sie trotzdem hergeben. Nur wird das Leben ihnen wohl manchmal recht sauer. Für diese Kollegen schreibe ich hier. – Nein, ich nenne keine Namen. Jeder aufrichtig ins Herz hineinschauende Sammler, jeder gleichgesinnte Kollege wird sich denken können, wer wohl zu dieser Zunft gehört. Vor diesen ziehe ich meinen Hut! Jeder von ihnen könnte abendfüllend über sein Sachgebiet, ja über einzelne Bücher aus diesem, begeistert referieren. Bei einem solchen platonischen Gastmahl säße ich gerne mit an der Tafel! Nicht aber bei denen, die kalt-kassenstürzend bloß "auf ihr Geld zählen" (W. Boning) oder sich eine noch absurdere virtuelle Mathesis unversalis zur Mehrung desselben ausdenken. Geld oder Leben auch hier die Frage!

Überhaupt die Begeisterung! Wo sind die Kollegen, Begeisterung unter das schleichend' Volk zu streuen? Wie, frage ich, kann es sein, dass in der Öffentlichkeit gelegentlich der Eindruck entsteht, der antiquarische Buchhandel sei eine staubige und trockene Angelegenheit und wirke (frei nach Egon Friedell, großer Mann) auf Normalsterbliche wie ein Samum, ein Sandsturm, der alles Lebendige erstickt? Ich frage das! Mag es vielleicht (oho!) mit der liebevoll-bleistiftigen Rechenschieberartigkeit zusammenhängen, mit der das 'Geschäft' gelegentlich ausgeübt wird? Mit der Kälte der ISBN-getriggerten Flohmarkts-Datenwelten? Nein? Na, dann will ich nichts gesagt haben.

Das Antiquariat, Herrschaften, ist ein ganz entschieden erotischer Ort! Alte Bücher sind sexy, und die Geschichten, die sich um sie ranken, des prallsten Lebens übervoll. Attraktion, Leidenschaft, Hingabe, wüste Begierden wohin man schaut! Von wegen Sublimierung: You get the real thing. – Wenn hinter den Büchern ein beseelter Antiquar steht.

Nur das Gemeine geht klanglos den Orkus hinab!