Meinung

Schonfristen wird es nicht mehr geben

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Nur attraktive Portale können illegalem Download von E-Books vorbeugen. Von Joachim Leser.

Es herrschte zuletzt rege Betriebsamkeit in »Doc Gonzos Sprechzimmer«. Zur Debatte standen die Auswirkungen der neuen E-Reader: »Es wird eine Hexenjagd losgehen, wie sie die MP3-Szene bereits hinter sich hat«, prophezeit 123hexerei. Und BinTraden folgert: »Wir betreiben unser Hobby nicht mehr im Wohnzimmer, sondern im Bunker.«
Das Portal Doc Gonzo wurde 2002 zum illegalen Austausch von E-Books eingerichtet. Bis vor Kurzem agierte die Szene unbehelligt. Mit dem Verkaufsstart der neuen Reader hat sich das geändert.

Die Buchbranche nimmt nun etwas überrascht zur Kenntnis, dass es Strukturen zum illegalen Austausch von E-Books gibt. Das Angebot ist auf den ersten Blick erschreckend umfangreich. Tausende PDF-Dateien werden dort gebündelt und paketweise transferiert. Allein das Inhaltsverzeichnis zu einem Paket umfasst über 1 000 Seiten und führt um die 40 000 E-Books auf. Das entspricht dem Bestand einer Buchhandlung mit ca. 250 Quadratmetern Verkaufsfläche. Viele Titel bei Doc Gonzo sind Longseller aus den Verlagshäusern. Es finden sich allerdings auch in Massen Merkwürdigkeiten, für die sich allenfalls Arno Schmidt interessiert hätte: die Ausgabe der »Nordsee-Zeitung« vom 1. Ok­to­ber 2005. Eine Montageanleitung für Topfscharniere. Kaum ein Antiquar würde eine Paketsendung dieser Bücher in gedruckter Form kostenlos entgegennehmen.

Was bei Doc Gonzo auffällt: Es fehlen – wie bei libreka! – aktuelle Bestseller. In den Regeln des Forums findet man die Erklärung für diese Tatsache: »Bücher, deren Erstauflage vor weniger als neun Monaten erschien, und Heftserien, deren Erstauflage vor weniger als drei Monaten erschien, unterliegen der Schonfrist, das heißt: Sie dürfen bei uns nicht angeboten werden.« Wer gegen diese Regeln verstößt, dem droht der Ausschluss aus dem Forum.
Es gibt gravierende Unterschiede zwischen der illegalen Musik- und E-Bookszene. »Schonfristen« gab es für die Musikindustrie nie. Noch ist die illegale Verbreitung von E-Books kein Volkssport: Es sind ein paar Dutzend, die aktiv E-Books einsammeln und für deren Verbreitung sorgen. Die »digital natives« sind bislang kaum im E-Book-Bereich aktiv. Mangels legaler Angebote haben die Musikliebhaber den Austausch von Musikdateien selbst »organisiert«; es dauerte Jahre, bis die Musikbranche mit eigenen Downloadportalen auf den Markt kam.

Was der Buchbranche – neben der Ausschöpfung der juristischen Möglichkeiten – bleibt: Sie muss die Attraktivität ihrer E-Book-Portale vorantreiben. Reizvolle legale Angebote – das zeigen in erster Linie die Erfahrungen der Musikindustrie – sind der beste Kopierschutz.
Beim Hörbuch hat das bereits gut funktioniert: Mit flexiblen Preismodellen (Abos) und einem umfassenden Sortiment kann man den Schaden, der durch illegale Downloads angerichtet wird, in Grenzen halten. Der legale Download von Hörbüchern hat sich zu einer relevanten Einnahmequelle für Verlage entwickelt. libreka! präsentiert sich derzeit als teurer Verbandskompromiss, von einem attraktiven Kundenportal ist die Plattform weit entfernt. Noch erfährt ein potenzieller Kunde nur unter unzumutbarem Aufwand, welche Titel als E-Book erhältlich sind. Wenn im Jahr 2015 – wie kürzlich prognostiziert – um die drei Millionen E-Reader verteilt sind, wird es keine Schonfristen mehr geben.