Lieben Sie die Veränderung?
Hartges: Abwechslung erfreut, heißt es ja. Grundsätzlich finde ich jedoch, auch wenn Ihnen das jetzt aus meinem Munde überraschend vorkommen mag, dass in beruflichen Dingen eine gewisse Kontinuität herrschen sollte. Dies gilt vor allem für Verleger. Nicht zuletzt deshalb ist mir die Entscheidung, von DuMont wegzugehen, äußerst schwer gefallen. Die Aussicht auf Piper war aber am Ende eine Versuchung, der ich nicht widerstehen konnte. Der Verlag bietet einfach alles, was ich mir für meine Arbeit wünsche. Und so habe ich meine generellen Bedenken angesichts dieser singulären Gelegenheit zurückgestellt. Für die Zukunft hoffe ich allerdings, dass jetzt Stabilität einkehrt. Alles andere wäre nicht gut. Für den Verlag vermutlich nicht und sicher nicht für mich persönlich.
Warum wäre es für Sie nicht gut?
Hartges: Ich sehe mich nicht in erster Linie als Verleger von Büchern, sondern als Verleger von Autoren. Es geht um langfristige Bindungen und Engagements, um persönliche Beziehungen, Vertrauensverhältnisse, nicht selten auch um Freundschaften. All dies kann ich nicht glaubwürdig vertreten, wenn ich ständig das Haus wechsele.
Sie sagen jetzt, Sie planen langfristig mit Piper. Haben Sie das bei DuMont nicht auch gedacht?
Hartges: Natürlich. Eine solche Aufgabe wie DuMont hätte sich gar nicht angehen lassen im Bewusstsein der Vorläufigkeit. Und ich hätte mir sehr gut vorstellen können, dort noch lange zu bleiben und den Verlag weiterzuentwickeln. Warum es anders kam, habe ich angedeutet. Das Bessere ist eben manchmal der Feind des Guten. Verlage aber, die mir attraktiver erscheinen als Piper, wüsste ich kaum zu benennen.
Ich schon. Einer ist in Reinbek.
Hartges: (lacht) Es mag sein, dass Piper noch nicht in jeder Hinsicht mit Rowohlt ebenbürtig ist, oder auch mit Fischer, um einen weiteren wunderbaren Verlag zu nennen. Aber wir müssen uns vor diesen großen Namen nicht verstecken. Piper hat seine eigenen Stärken und eine ähnlich eindrucksvolle Tradition. Und im Übrigen ist es doch schön, wenn man noch Ziele haben kann.
Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie noch die Übersichtlichkeit von Verlagen wie DuMont als Vorzug gegenüber großen Buchfabriken wie Rowohlt – so Ihre eigene Zuschreibung – hervorgehoben ...
Hartges: Wenn man auf die reinen Titelmengen schaut, ist dieser Begriff auch nicht abwegig. Aber dies ist nur ein Aspekt unter vielen. Schauen Sie sich hier um! Sieht so eine Buchfabrik aus? Natürlich produzieren wir mehr Bücher als DuMont. Entscheidend ist jedoch nicht die reine Quantität, sondern die Qualität, mit der wir unsere Bücher verlegen. Können wir jeden Titel so betreuen, dass er gute Aussichten hat, sich auf einem immer schwieriger werdenden Markt durchzusetzen? Leisten wir das Optimale für unsere Bücher und Autoren? Das ist die Frage, der wir uns stellen müssen. Und wenn dies nicht gewährleistet ist, sollten wir die Anzahl unserer Neuerscheinungen reduzieren. Masse allein bedeutet nichts und bringt nichts.
Als Sie bei DuMont anfingen, sagten Sie, dass Sie die Unterhaltungsliteratur gern anderen überlassen. Das können Sie jetzt nicht mehr.
Hartges: Ein Verlag von der Dimension DuMonts benötigt ein scharfes Profil. Wir hatten nicht die Ambition, auf allen Feldern mit den großen Publikumsverlagen zu konkurrieren. Das ist bei Piper anders. Wir können und wollen dem Handel und den Lesern ein hochwertiges, aber breitgefächertes Programm anbieten, von der anspruchsvollen Literatur und dem interessanten Sachbuch bis hin zur guten Unterhaltung. Mit dieser programmatischen Spannbreite bin ich seit Rowohlt-Zeiten bestens vertraut. Und die Buntheit und Vielseitigkeit eines solchen Programms hat mir damals schon Spaß gemacht.
Ich habe eine kleine Testfrage: Was gehört alles zu Piper?
Hartges: (zählt ohne langes Nachdenken die einzelnen Verlage und Labels auf und vergisst nichts) Piper, Fantasy, Malik, Malik National Geographic, Pendo, Westend, Fahrenheit, Nordiska.
Das ist eine ziemlich wilde Mischung, da muss man sich schon konzentrieren, oder?
Hartges: Nein, ich habe zwar schon einen relativ langen Tag und eine kurze Nacht hinter mir, aber seine Programmbereiche sollte ein Verleger eigentlich auch noch im Schlaf herunterbeten können.
In dieser Vielzahl erscheint mir manches noch reichlich unsortiert ...
Hartges: Es stimmt, wir müssen in bestimmten Bereichen die Konturen schärfen. Erste Ergebnisse dieser Überlegung wird man schon mit den Herbstprogrammen sehen. Die Literatur bündeln wir bei Piper. Vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, die Labels Fahrenheit und Nordiska fortzusetzen. Deren Autoren und Bücher werden programmatisch bei Piper integriert. Pendo wird künftig für die gehobene Unterhaltung stehen, in der Literatur wie im Sachbuch. Insgesamt haben wir im Hardcover-Bereich die Titelanzahl schon mit diesem Herbst deutlich reduziert, vornehmlich in der Belletristik. Aber auch in unserem starken Sachbuch-Programm muss man sich überlegen, ob weniger nicht mehr sein könnte. Wie gesagt, entscheidend ist die Qualität, nicht die Quantität.
"Wenn man neu anfangen will, können ein paar frische Kräfte nicht schaden". So haben Sie den Abschied verschiedener Mitarbeiter nach ihrem Start bei DuMont kommentiert. Was erwartet das Team bei Piper?
Hartges: Ein Verlegerwechsel führt meist auch auf anderen Ebenen eines Verlages zu Fluktuationen. Das ist mit Unruhe und nicht selten auch mit Unannehmlichkeiten verbunden, aber ein Weltuntergang ist das nicht. Bei DuMont waren diese Veränderungen sogar die Voraussetzung für die positive Trendwende, bei Piper ist die Ausgangssituation aber grundverschieden.
Die Marketingleiterin Christa Beiling aber ist schon weg.
Hartges: Ich bedauere das. Christa Beiling hat ohne jeden Zweifel viel dazu beigetragen, dass Piper seit Mitte der 90er Jahre eine so positive Entwicklung genommen hat. Von ihrer Erfahrung hätte ich sicher profitieren können, aber es hat eben nicht sollen sein. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir in der Frage der Nachbesetzung rasch zu einer guten Lösung kommen werden.
Warum ist sie gegangen?
Hartges: Mir gegenüber hat sie ausschließlich persönliche Gründe angegeben. Und dies ist wirklich keine Floskel.
War die Absicht, an literarischem Renommee zu gewinnen, der Hauptgrund, weswegen die Bonnier-Führung meinte, dass der Verlag einen neuen Verleger braucht?
Hartges: Ich weiß nicht, ob der Verlag unbedingt einen neuen Verleger brauchte. Wolfgang Ferchl hat hier erfolgreich gearbeitet. Offenkundig gab es dennoch unüberbrückbare Differenzen über die künftige Ausrichtung des Verlages. So hieß es jedenfalls. Und es gibt ja tatsächlich Situationen, in denen es keinen Sinn mehr macht, weiter zusammenzuarbeiten, auch wenn die ökonomischen Kennziffern in Ordnung sind. Wie dem auch sei, in meinen Gesprächen mit den Verantwortlichen von Bonnier Media habe ich nicht damit hinter dem Berg gehalten, dass ich mir eine Stärkung des literarischen Profils für Piper wünschen würde. Und dies stieß durchaus auf Wohlwollen und Zustimmung. Ob dieses Thema allerdings kontrovers war zwischen Wolfgang Ferchl und Bonnier, ist mir nicht bekannt.
Haben Sie auch mit Wolfgang Ferchl geredet?
Hartges: Nein. Aber ich hoffe sehr, das demnächst tun zu können. Wir kennen uns nicht sehr gut, aber schon lange. Und es gab, das kann ich, denke ich, sagen, immer eine kollegiale Sympathie und Wertschätzung.
Sein Rauswurf hat viele überrascht. Diese gewisse Unberechenbarkeit, die Härte des Geschäfts – hat Sie das nachdenklich gestimmt?
Hartges: Ich fürchte, das ist Teil des Berufsrisikos. Wer viel Verantwortung übernehmen will, wird eben auch zur Verantwortung gezogen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie die Eigentümer sich das vorstellen. Dieses Risiko wird ja auch finanziell honoriert. Insofern halte ich es für unangemessen, sich über die Härten des Verlegerdaseins zu beklagen. Es gibt wahrlich Schlimmeres.
In einer Zeitung stand über Sie: "Er erfüllt das Rollenprofil des Konzernverlegers idealtypisch." Glauben Sie das auch?
Hartges: (lacht) Da müssen Sie andere fragen. Ich kann nur sagen: Ich liebe meine Arbeit und hatte bislang die nötige Fortune. Möge es so bleiben.
Waren Sie überrascht, als Sie von Bonnier angesprochen wurden? Oder haben Sie eher gedacht: "Na klar, kann ich besser."
Hartges: (lacht) So etwas kommt immer überraschend! Allerdings bilde ich mir ein, kein völlig abwegiger Kandidat gewesen zu sein. Doch gibt es sicherlich eine ganze Reihe von Leuten, die ebenfalls in Frage gekommen wären.
Sie sind durch den Erfolg von Charlotte Roche zu einem Verleger avanciert, dem viel zugetraut wird. Dabei ist das doch ein einziger Glücksfall gewesen, oder?
Hartges: Ein Erfolg dieses Ausmaßes hat immer mit Glück zu tun, aber Verlegen ist trotzdem keine reine Lotterie. Erfahrung, Gespür, Sorgfalt spielen auch eine große Rolle. Natürlich kann man das Glück nicht erzwingen, aber man kann es ein bisschen wahrscheinlicher machen. Im Übrigen waren die "Feuchtgebiete" nicht der einzige Erfolg, den wir bei DuMont in den letzten Jahren hatten.
Der frühere Rowohlt-Verleger Niko Hansen hat Ihnen ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein attestiert.
Hartges: Selten habe ich mich so verkannt gefühlt. Bei mir ist Selbstbewusstsein eher eine sehr volatile Befindlichkeit.
Aufgrund dieses Selbstbewusstseins hätten Sie sich "zweifellos zu einem ziemlichen Kotzbrocken entwickeln können", schrieb Hansen noch in einem Artikel und erklärte, warum Sie das nicht geworden sind. Trotzdem: Muss man manchmal ein Kotzbrocken sein, wenn man es nach oben schaffen und dort bleiben will?
Hartges: Das ist doch ein Klischee, das von der gesellschaftlichen Realität längt überholt ist. Für Kotzbrocken sehe ich keinen Bedarf.
Wie lange werden Sie noch mit sehr wenig Schlaf auskommen müssen?
Hartges: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Natürlich ist eine Anfangszeit immer besonders hart. Aber es gibt auch keine Zeit, die aufregender und schöner wäre. Es ist doch toll, wenn man noch ganz frei von Routinen agieren kann und alles neu gedacht werden muss.