Meinung

Bücher sind nicht tot, sie riechen nur komisch

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Wo bleiben die Verlage, wenn sich Wissenschaft selbst organisiert? Antworten von Michael Huter.

Dass auf einer Konferenz zu den neuesten Trends in der Wissenschaftskommunika­tion nicht viel von Büchern die Rede ist, ist keine große Überraschung. Wenn sich aber dort ein prominenter Vertreter der Verlagsbranche fragt, ob nicht die Tage des wissenschaftlichen Verlags­wesens gezählt seien, dann kommt das doch unerwartet.     
Gerade war noch von der Zukunft des wissenschaftlichen Buches die Rede, von E-Books und populären Paperbacks, von neuen Geschäftsmodellen mit hybriden Produkten aus print und digital, von richtigen Büchern sogar. Plötzlich spricht man davon höchstens noch im übertragenen Sinn und sagt eigentlich lieber schon »longform publications« dazu. Offenbar gilt hier für Bücher, was der Popdadaist Frank Zappa über den Jazz gesagt hat, nämlich er sei nicht tot, sondern rieche nur ein bisschen komisch.
An der Oberfläche ist nicht viel zu sehen. Wissenschaftliche Artikel erscheinen in den einschlägigen Zeitschriften, zu etwa 60 Prozent auch noch im Druck. Für die Karriere von Wissenschaftlern ist nach wie vor nicht unwichtig, wie die Namen von Verlagen auf ihrer Publikationsliste klingen, und es schadet nicht, wenn Bücher dabei sind, ganz im Gegenteil.
Anscheinend herrscht normaler Betrieb, aber hinter den Kulissen wird umgebaut. Die neuen Arbeitstechniken haben das Verhalten im wissenschaftlichen Alltag völlig verändert. Auch wenn weiterhin in der Bibliothek, an der Klinik oder im Feld geforscht und im Hörsaal gelehrt wird – die Kernprozesse finden am Computer statt. In der Wissenschaft herrscht reale Virtualität statt virtuelle Realität.
Nicht nur Technik und Industrie, auch die Wissenschaft selbst treibt den Prozess voran. So etwas wie »scientific community« gibt es nicht, es gibt nur Wissenschaftler, die in den jeweiligen Fächern kooperieren und konkurrieren. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit zerfällt in zahllose Segmente, in denen die Fachleute unter sich sind. Dort geht der Trend wiederum zu »one stop shopping«. Es ist einfach viel zu kompliziert und zeitraubend, in Bibliotheken oder Verlagsarchiven zu recherchieren und dabei unzählige Adressen abzuklappern. Auf Themenplattformen finden die Fachleute an ein und derselben Adresse alles, was sie brauchen.
Innerhalb eng vernetzter Gemeinschaften ist die offizielle Veröffentlichung praktisch schon überflüssig geworden. Entscheidend ist das Preprint. Die Qualitätskontrolle erfolgt nicht dadurch, dass gleichrangige Experten im Publikationsprozess Manu­skripte begutachten, sondern dass eine Gemeinschaft von Spezialisten die Ergebnisse diskutiert. Bis die offizielle Fassung erscheint, ist diese Diskussion längst gelaufen. Der Artikel ist vielleicht als Bestätigung für die Laufbahn wichtig, die Forschung ist inzwischen weitergezogen.
Aber wenn sich die Wissenschaft selbst organisiert, wo bleiben dann die Verlage? Die sind und bleiben ein wichtiger Partner der Wissenschaft. Sobald die Fachleute nämlich nicht mehr ganz unter sich sind, braucht es andere, die Inhalte entwickeln und Zielgruppen organisieren. Das gilt besonders dann, wenn es um die Vermittlung und Anwendung von Wissen, also um Studium und Praxis geht. Egal in welchem Medium, was die User hier zu sehen bekommen, ist nicht das, was die Autoren geschrieben haben und – ohne Verlage hätten sie es vielleicht gar nicht geschrieben. Geht es dann auch noch um Popularisierung, gibt es immer noch die Bücher.

 Werden Fachverlage eines Tages überflüssig?