Glückwunsch

»Hin und wieder bin ich dieser Rabbi«

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Friedenspreisträger Amos Oz wird heute 70 Jahre alt. Der Schriftsteller, Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung, engagiert sich bis heute politisch  – und tritt in seiner Heimat gegen Fanatismus, Gewalt und Gleichgültigkeit ein.
»Wenn du Israel verstehen willst, wenn du die Seele des Landes wirklich erfahren willst, dann geh nachts durch die Straßen. In der sommerlichen Hitze der Nacht schlafen viele Leute auf ihren Balkonen. Wer stillsteht, still geht, hört sie in ihren Angstträumen seufzen und stöhnen und wimmern, sie träumen in mehreren Sprachen, überwältigt von Vergangenheiten, die nicht aufhören wollen.«

Siegfried Lenz zitiert in seiner Laudatio bei der Friedenspreisverleihung 1992 an Amos Oz diesen bemerkenswerten Tipp, den sein Freund ihm bei seinem Besuch im Kibbuz Hulda gegeben hat, Lenz weist dabei auch darauf hin, dass es dem Schriftsteller Oz durchaus bewusst ist, dass die Wirkung von Literatur unkalkulierbar, nicht abrufbar ist, »dass sie weder auf ein Losungswort hin Kräfte mobilisieren noch auf eine Parole hin Politik beeinflussen kann«. In diesem Bewusstsein handelt Oz, als Schriftsteller mit politischem Ansinnen, und als politischer Mensch, der sich konkret in die Geschicke Israels einmischt.

Mit fünfzehn Jahren tritt Amos Klausner, der Sohn eines russischen Literaturwissenschaftlers, dem Kibbuz Hulda bei und ändert seinen Nachnamen in Oz um, das hebräische Wort für Kraft, Stärke. Er studiert Literatur und Philosophie und veröffentlicht 1960 erste Kurzgeschichten. Der erste Roman »Keiner bleibt allein« über die Bedrohung der Ideale des Kibbuzlebens durch Missgunst und Egoismus erscheint 1966. Schon hier wird seine Sehnsucht nach Verlässlichkeit sichtbar, die sich aus der Unsicherheit des Staates Israel seit seiner Gründung ergibt und die sich durch sein Leben und sein literarisches Werk zieht. Die Erfahrungen, die Oz 1967 als Soldat im Sechstagekrieg und im Jom-Kippur-Krieg 1973 macht, befördern sein politisches Verständnis dafür, dass ein Kompromiss zwischen Israelis und Palästinensern gefunden werden muss, der eine Autonomie der Palästinensergebiete vorsieht. 1977 wird die Friedensbewegung Schalom Achschaw (Frieden jetzt) gegründet, auf deren Basis Amos Oz und seine Mitstreiter sich für eine friedliche Lösung einsetzen – eine Haltung, die in Israel, zusammen mit den zeit- und gesellschaftskritischen Bezügen von Oz’ Romanen und Essays, heftige Kontroversen auslöst.

1992 verleiht ihm der Börsenverein den Friedenspreis. Er würdigt mit dem Preis den herausragenden Schriftsteller des heutigen Israel, »der mit seinen Büchern ein lebendiges Bild der israelischen Gesellschaft mit ihren vielschichtigen und schwierigen Beziehungen der Menschen untereinander und zu der Welt zeichnet«, und zugleich »den Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung, mit der er gegen Fanatismus, Gewalt, aber auch gegen Gleichgültigkeit kämpft«. Diese Beschreibung der Persönlichkeit von Amos Oz gilt bis heute: 2008 erscheint sein Roman »Verse auf Leben und Tod«, ein subversives Wechselspiel von Leben und Literatur, im gleichen Jahr kündigt er die Gründung einer neuen Linkspartei an.

Eine Geschichte, die er 1992 bei der Friedenspreisverleihung erzählt, zeigt, wie er sich des nahezu unlösbaren Problems im israelisch-palästinensischen Konflikt bewusst ist: »Es gibt eine alte chassidische Geschichte von einem Rabbi, den man ruft, um über zwei Ansprüche auf ein und dieselbe Ziege zu entscheiden. Er befindet, dass beide Parteien recht haben. Zu Hause sagt ihm später seine Frau, dass dies unmöglich sei: Wie können beide im Recht sein, wenn sie Ansprüche auf ein und dieselbe Ziege stellen? Der Rabbi denkt einen Augenblick nach und sagt: ‚Weißt du, meine Liebe, auch du hast recht.’ Hin und wieder bin ich dieser Rabbi.«