Der Frosch im Wasser und der erneute Untergang des Abendlandes

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Vor einiger Zeit habe ich im Zusammenhang mit Online-Strategien für Verlage folgendes zoologische Beispiel vernommen: Ein Frosch, den man in einen Topf mit heißem Wasser wirft, springt wieder heraus. Ein Frosch aber, den man in einen Topf mit kaltem Wasser setzt, das man allmählich bis zum Siedepunkt erhitzt, stirbt. Das ist ein sehr prägnantes Beispiel, das skizziert, dass man sich im Tagesgeschäft manchmal unbemerkt in einer Entwicklung befindet, bei der es ums Ganze geht.
Passend hierzu wird in der ZEIT vom 23. April wieder mal das Ende des gedruckten Buchs heraufbeschworen und beinahe sehnsuchtsvoll erwartet (zumindest in dem Artikel von Jürgen Neffe).
 
Das Ende des gedruckten Buches: Das ruft geradezu reflexartig zwei Fraktionen auf den Plan. Das sind zum einen Diejenigen, die wahrscheinlich auch an anderer Stelle zu genüge den Untergang des Abendlandes beschwören. Diese nostalgisch-kulturpessimistische Fraktion schwärmt von vollen Buchregalen und dem haptischen Erlebnis des Lesens. Mit dieser Argumentation kommt man allerdings auch recht schnell in die Defensive. Denn sie fußt auf Werten, die vielleicht schon in wenigen Jahren nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung nachvollziehen kann.
 
Jürgen Neffe dagegen beschreibt für uns die zweite Fraktion, die optimistisch-euphorische. Sie denkt weniger an den Verlust des stofflichen Mediums, sondern feiert die digitale Publikationsform: „Lesen und Schreiben gehören zum Fundament unserer demokratischen Gesellschaften. Wer das retten will, muss neu nachdenken, um Autoren wie Leser vor den Monopolisten des Netzes zu schützen“ – das hätten wir nicht besser formulieren können.
 
Welche Schlussfolgerung aber zieht der Autor daraus: „Warum nicht freier Zugang zu allen Texten im Netz?“. Und an dieser Stelle gehen die Meinungen nun wirklich auseinander. Denn dass ein Autor und sein Verlag das Recht haben, für ihre Arbeit entlohnt zu werden (und dass dieses Recht dann auch verteidigt werden muss), daran darf aus unserer Sicht kein Zweifel bestehen.
 
Die netzliberalistische These, die den freien Zugang zu Inhalten im Netz propagiert, geht schlichtweg von einer falschen Voraussetzung aus. Für sie ist der Content etwas heuristisch gegebenes und unterstellt, es könnte auch ohne Entlohnung zur Produktion bedeutender Inhalte kommen. Des Weiteren wird impliziert, der kulturelle Austausch würde gänzlich ohne verlegerische Leistungen auskommen.
 
Ist es aber nicht eher zu bezweifeln, dass der Inhalt, die Nachricht, ihren Weg tatsächlich ungefiltert zum Leser findet? Das Internet ist angetreten mit dem Versprechen – quasi als Pull-Medium entgegen den alten Push-Medien – die Menschen/Kunden/Leser/User freier zu machen. Der Konsument soll die freie Entscheidung haben, sich Wissen ungefiltert zu besorgen und für sich selbst zu entscheiden, was davon Relevanz hat. Ist dieses Versprechen gehalten worden? Eine Entwicklung, die den Verleger und den (Buch-)Händler ersetzbar macht, scheint mir nicht in Sicht. Gerade angesichts überbordender Information scheint der Moderator, der Vermittler, der Filter, der „Informationsbroker“, gefragter denn je.
 
Sicherlich sind Lesen und Schreiben prinzipiell medienunabhängig (obwohl: haben Sie mittlerweile das papierlose Büro?). Die Qualität des Contents ist jedoch entscheidend an die Publikationsform gebunden: das Prinzip Buch. Diese muss zum einen entlohnt werden (weil es sie sonst nicht mehr gibt) und braucht zum zweiten einen (Ver-)Mittler und Moderator, der nicht nur die Verbreitung, sondern auch die Diskussion steuert. Auf einen Automatismus, auf die Selbstheilungskräfte des Netzes zu setzen, erscheint mir hier ebenso naiv wie der Glaube an die Selbstregulierungskräfte des freien Marktes.
 
Und diese Publikationsform, das Prinzip Buch also, mitsamt seinem erfolgreichen Geschäftsmodell, das verteidigen wir. Nicht das Papier (auch wenn wir es lieben).
Und nicht zuletzt deshalb machen wir libreka!