Meinung

Humorstandort Deutschland

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Die Matadoren der Fernsehunterhaltung haben die Buchbranche übernommen. Von Wolfgang Schneider.

Das Ende der Ironie, das manche Zeitgeistdiagnostiker nach dem 11. September 2001 vollmundig ausriefen, hat nicht stattgefunden. Auch angesichts der größten Finanzkrise seit 1929 lässt das Platzen der Spaß-Blase auf sich warten. Mag Opel den Bach runtergehen, Deutschland bleibt Humorstandort. Aber es verhält sich mit Scherz und Ernst ja auch nicht wie mit den Gewichten auf der Waage, wo verlässlich die eine Seite steigt, wenn die andere sinkt. Mag sein, dass die geschmähte »Spaßgesellschaft« ein Wohlstandsphänomen der 1990er Jahre und der gesellschaftlichen Banalisierung war. Aber wenn es ernst wird, wollen die Leute erst recht lachen und vergessen.

So gehört es zu den auffälligsten Tendenzen der Buchbranche, dass die Bestsellerlisten zunehmend geprägt werden von den Matadoren und Moderatoren des TV-Unterhaltungs- und Humor­betriebs. Kein Wissensgebiet, für das sie nicht schon ihre Zuständigkeit unter Beweis gestellt hätten: Spirituelle Besinnung gibt’s mit Hape Kerkeling, Sexualhygiene mit Charlotte Roche, ost-westliche Völkerverständigung mit Steffen »Viva Polonia« Möller. Die Medizin wird vom unglaublich ehrgeizigen Dr. Hirschhausen bewirtschaftet, der neuerdings auch als skrupelloser Ratschläger an der Glücksfront unterwegs ist. Der Harald-Schmidt-Adlatus Manuel Andrack gibt seit einiger Zeit den Wanderpädagogen und Ahnenforscher. Und – um nur noch einen zu nennen – der markant grinsende Bundespräsident der Spaßkultur, Thomas Hermanns, schreibt neuerdings Kulturgeschichte: Wie war das, als Ende der 70er die Discomusik voller Glimmer und Glämmer die Welt eroberte? Hermanns, bekennender Travolta-Mitläufer, erklärt es den Nachgeborenen.

Aber auch die Belletristik wird flächendeckend übernommen. Ohnmächtig schauen professionelle Schriftsteller aus ihrer Kleinauflagennische zu, wie fernsehprominente Nebenbei-Schreiber sich mit schnellfertigen Romanen große Stücke vom Aufmerksamkeitskuchen abschneiden, während sie selbst sich mit den verbleibenden Krümeln begnügen müssen. Sarah Kuttner, Tommy Jaud, Ralf Husmann, David Safier, Michael Gantenberg, Roger Willemsen, Moritz Netenjakob … Ein Pocher-Epos ist wohl nur noch Frage der Zeit. Wer jetzt aber die Nase über die Flut von Comedy-Romanen rümpft, der übersieht, dass ausnahmsweise auch wirklich Gelungenes angeschwemmt wird: Heinz Strunks »Fleisch ist mein Gemüse« gehört zweifellos zu den lesenswertesten deutsch­sprachigen Romanen der letzten Jahre.

Trotzdem: Viele Bücher der Comedians und Moderatoren bleiben Verlegenheitslösungen, geboren aus der Not, der bestens verkäuflichen »Marke« ein Werk hinzuzufügen. Dieser Schieflage ließe sich durch eine neuartige Form der Kollaboration abhelfen. Autoren, die für ihre mühsam erarbeiteten Lebenswerke keine Leser finden, könnten sich zusammentun mit den Kabarettisten und Prominenten, die das umgekehrte Problem plagt: eine erhebliche potenzielle Leserschaft, aber kein (wirklich überzeugendes) Buch. Die einen steuern den Text, die anderen ihren guten Namen bei. Wie schön wäre das, wenn ein literarisch  fulminanter Liebes­roman, verfasst von wem auch immer, jahrelang an der Spitze der Bestsellerliste stünde, nur weil auf dem Umschlag als geschlechterkundiger Koautor Mario Barth angeführt wäre. Lesung im Olympiastadion nicht ausgeschlossen.