Es gab zuletzt eine Menge Aufregung um die Kultur- und Literaturstadt Frankfurt. Mehr, als Ihnen lieb sein kann ...
Semmelroth: Ich freue mich immer, wenn es Bewegung gibt, das ist für die Kultur gut. Nichts ist fataler als Stillstand.
Das war zu vermuten, dass Sie so antworten. Zeigen die Auseinandersetzungen nicht eine sehr zerstrittene Stadt?
Semmelroth: Frankfurt war schon immer eine Stadt, die Streit produktiv machen kann. Genauso charakteristisch ist, dass stets sehr aufgeregt gestritten wird. Ich würde mir gelegentlich etwas mehr Gelassenheit wünschen. Diese Stadt hatte stets etwas Transitorisches. In den letzten Jahren hat sich vielleicht der Gedanke verfestigt, es müsse alles immer so bleiben wie es ist. Jede personelle Veränderung als eine Form von Liebesentzug wahrzunehmen ist doch merkwürdig.
Der bevorstehende Umzug des Suhrkamp Verlags nach Berlin scheint wie ein Weckruf für Kultur-Initiativen gewirkt zu haben. War er nötig?
Semmelroth: Der Weggang ist äußerst bedauerlich, aber er war nicht zu verhindern. Die Auseinandersetzung um Frankfurt als Buchstadt hat es auch vorher schon gegeben.
Hat der Verlagswechsel ein stärkeres Engagement für Literatur und Verlage in Frankfurt angestoßen?
Semmelroth: Er hat deutlich gemacht, dass gerade in diesem Bereich vieles in Bewegung ist.
Aber es ist eine Bewegung weg von Frankfurt.
Semmelroth: Berlin ist die Hauptstadt. Und Berlin unternimmt auch in anderen Bereichen Abwerbungsversuche. Ich halte das für politisch in hohem Maße fragwürdig. Es gibt keinen Sog weg von Frankfurt. Es ist vielmehr ein Kommen und Gehen.
Wie konkret sind die Pläne für das Buchhändlerhaus im Großen Hirschgraben nach dem Auszug des Börsenvereins? Anfangs hieß es, hier solle ein Haus für Verlage entstehen, jetzt ist von einem Haus der Buchkultur die Rede ...
Semmelroth: Es war nie geplant, dort billige Räume anzubieten, um Frankfurter Verlage zu bewegen, dorthin umzuziehen. Es gibt eine Arbeitsgruppe aus Verlegern und Mitarbeitern des Kulturamtes, die konkret plant, wie das Haus aussehen könnte. Die Verlagsbranche steht ja insgesamt vor gewaltigen Umbrüchen. Hier ein Zentrum zu schaffen ist auch ein Zeichen dafür, dass das Buch von überragender Bedeutung ist.
Wann wird es das Haus der Buchkultur geben?
Semmelroth: Das ist schwer zu sagen. Zunächst muss der Börsenverein ausziehen. Ich denke, dass wir vor 2012 nicht mit den Baumaßnahmen beginnen können.
Hat Frankfurt in der Vergangenheit genug getan für die hiesige Verlags- und Literaturszene?
Semmelroth: Ja, aus öffentlichen Mitteln werden jährlich über 600000 Euro bereitgestellt für Literatur, wir vergeben jetzt erstmals ein Autorenstipendium und wir planen zur Buchmesse ein neues Projekt im Herzen der Stadt: im Kunstverein wird es ein Angebot für Verlage und die Frankfurter Öffentlichkeit geben. Dort soll gelesen, geredet und gefeiert werden.
Aber das scheint bei einem Gesamtetat von 130 Millionen Euro marginal.
Semmelroth: Ich sehe Verlage nicht als Patienten an, die betreut werden. Das haben sie nicht nötig.
Ist ein Projekt, wie die jetzt geplanten Veranstaltungstage im Kunstverein, die parallel zur Buchmesse in der Stadt stattfinden sollen, nicht längst überfällig?
Semmelroth: Noch einmal: Das ist ein zusätzliches Angebot. Wir stellen den Verlagen viel Raum für eigene Veranstaltungen zur Verfügung: den gesamten Kunstverein.
Die Verlage hätten dieses Angebot vor einigen Jahren sicher auch schon angenommen.
Semmelroth: Zu mir ist jedenfalls kaum ein Verleger gekommen und hat nach Räumen für Veranstaltungen gefragt.
Wäre nicht das Literaturhaus der passendere Ort?
Semmelroth: Wir überlassen den Kunstverein den Verlagen. Diese entscheiden über das Programm. Das Literaturhaus macht in eigener Verantwortung die Veranstaltungen, die es lange geplant anbieten möchte. Zur Messe ist dort traditionell das Gastland präsent. Wir offerieren jetzt etwas Zusätzliches, das ist keine Konkurrenz. Es geht um die Förderung der Literaturstadt Frankfurt, nicht um einzelne Häuser.
Mit dem Streit um die Literaturhausleitung können Sie auch nicht glücklich sein.
Semmelroth: Die Stadt hat da wenig Einfluss. Die Rechtsform des Literaturhauses ist ein eingetragener Verein. Die Mitgliederversammlung wählt den Vorstand. Und dieser Vorstand hat alle Rechte und Pflichten, die das Gesetz vorsieht. Die Tatsache, dass ein kleiner Teil der Mitglieder jetzt entscheidend Einfluss genommen hat, könnte einen zu der Frage veranlassen, ob es so glücklich ist, dass in diesem Ausmaß der Zufall mitentscheidet, je nachdem welche Mitglieder bei einer Versammlung anwesend sind und welche fern bleiben.
Würden Sie künftig gern stärker mitbestimmen, zumal die Stadt der Hauptgeldgeber ist?
Semmelroth: Das Literaturhaus ist eine ganz wichtige Einrichtung. Und es kann sicher nicht hinreichend sein, dass man nur den Scheck ausstellt. Aber ich kann die rechtlichen Strukturen nicht ignorieren.
Ist es Ihr Ziel, sie zu verändern?
Semmelroth: Das ist eine schwierige Frage. Welche Optionen gibt es denn?
Die derzeitige Situation rund um das Literaturhaus ist kaum als glücklich zu bezeichnen.
Semmelroth: Es gibt mit Joachim Unseld einen neuen Vorstandsvorsitzenden. Man muss jetzt die weitere Entwicklung abwarten.
Fehlt es Frankfurt insgesamt an literarischem Flair?
Semmelroth: Es gibt hier eine enge Verschränkung von Geld und Geist. Das war nie anders. Man kann eine Kaffeehauskultur, wie es sie in Wien gibt, nicht künstlich herstellen. Szenen entwickeln sich durch die, die sie betreiben.
Aufregung gibt es auch um das Suhrkamp-Archiv. Sie wollen, dass es in Frankfurt bleibt. Werden Sie diesmal erfolgreicher sein bei Ihren Gesprächen mit Suhrkamp?
Semmelroth: Das ist eine gemeinsame Anstrengung der Hessischen Landesregierung, der Goethe-Universität, der Stadt Frankfurt und möglicherweise weiterer Partner. Wir werden alles uns mögliche dafür tun, dass das Archiv hierbleibt.
Was ist alles?
Semmelroth: Dazu gibt es Gespräche mit dem Verlag.
Gibt es Kürzungen im Kulturetat?
Semmelroth: Ich hoffe, nicht. Wir sind mitten in Haushaltsberatungen. Aber natürlich geht die Finanzkrise nicht spurlos an uns vorbei.
Macht Ihnen Ihr Job in den letzten Wochen mehr oder weniger Spaß als sonst?
Semmelroth: Ich bin so begeistert wie immer.
Ach, kommen Sie.
Semmelroth: Das gehört zum Geschäft, man wird für alles verantwortlich gemacht, was nicht läuft. Wenn etwas gelingt, dann ist es selbstverständlich. Ich halte Kultur für essenziell in einer Stadtgesellschaft. Dafür lohnt sich jeder Kampf. Natürlich ist das auch manchmal lästig, zumal, wenn man mit Unterstellungen konfrontiert ist. Das zeigt mir nur, dass nicht nur die Politiker manchmal böse sind, sondern andere Menschen auch.