Wir wollen über Google sprechen? Und über die, die ihre Hand auf die Urheberrechte legen? Gut, aber dann eines vorweg: Die Digitalisierung alles Geistigen ist nicht aufzuhalten. Wer es auch nur partiell versucht, der steht da wie ein Kleingärtner in Schülerlotsenuniform, der eine Lawine an seinem Besitz vorbeiwinken möchte.
Und noch eines: Die Digitalisierung ist so stark und unumkehrbar, weil sie uns allen – gerade auch uns geistig Tätigen – enorme Vorteile bringt. Die Existenz von Netz und Suchmaschine hat das Schreiben verändert, das Denken sowieso. Es ist nur noch ein Klick von einem Namen zur Geschichte der Person, ein Klick von der vagen Erinnerung an ein Zitat zu seinem Wortlaut und überhaupt, so scheint es: ein Klick von jeder Frage zu ihrer Antwort. Die Absicht der Aufklärer und Enzyklopädisten könnte demnächst erreicht sein: Was einer weiß, kann jeder wissen. Und was man wissen kann, das muss man auch wissen.
Doch es gibt eine dunkle Seite dieser Aufklärung. Das Internet ist bestrebt, sich alles einzuverleiben. Und diese Totaldigitalisierung der Welt tendiert darauf, alles und jedes zur Ware zu machen! Das Netz ist die Göttin des globalen Kapitalismus. Selbst was es umsonst anzubieten scheint, fungiert zumindest als Werbeträger oder als Sprungbrett zum Kostenpflichtigen einen Klick weiter. Dass Google jetzt darangehen will, den Buchbestand der Welt zu digitalisieren, mag besonderes Aufsehen erregen und auch Widerspruch hervorrufen – es ist aber nur eine weitere Stufe der Verwandlung von Welt in Ware, wobei – wie zu Zeiten des Kolonialismus – der Produzent die schwächste Figur, der Händler aber die stärkste ist.
Vor 20 Jahren endete der Konflikt zwischen den großen sozialen und ökonomischen Entwürfen. Jetzt erleben wir weltweit den Kater, der auf die Siegesfeier der Marktwirtschaft folgt. Der globale Kapitalismus hat sich überhoben, wenn nicht gar verrückt gespielt. Die Digitalisierung, die ihn erst ermöglichte, frisst ihre Erzeuger, indem sie das Urheberrecht durch die schutzlose Omnipräsenz geistigen Eigentums unterhöhlt.
Und was tun? Sammelklagen beitreten oder von Sammelklagen Abstand nehmen? Ich kann leider zu nichts kurzfristig Wirksamem raten. Sondern nur dazu, alles als Teil eines Ganzen zu sehen. Und das heißt vor allem: Wir müssen uns selbst als mittreibende Kraft einer Entwicklung begreifen, deren negative Auswirkungen wir jetzt erfahren. Wir haben qua Netz eine Ahnung davon bekommen, wie gewaltig groß, ja unabsehbar die Welt des Wissens tatsächlich ist. Eine »Rückbescheidung« auf ein Dutzend papierene Nachschlagewerke ist ausgeschlossen und auch gar nicht erwünscht.
Also begreifen wir das Netz nicht länger bloß als Werkzeug oder »Medium«, sondern als gestaltendes Subjekt der Bewusstseinsgegenwart. Und das heißt: Arbeiten wir an Entwürfen für ein Internet der Zukunft, das ebenso wie unser Wirtschaftssystem nicht allein an der Funktionalität oder am Profit, sondern daran zu messen ist, ob es den Aufbau einer humanen Gesellschaft befördert. Das Netz ist momentan noch die Göttin des Kapitalismus – aber wie er muss sie (notfalls mit Macht!) darauf verpflichtet werden, eine Dienerin der Menschheit zu sein.