Herr Gallenkamp, Ihr Vertrag ist für drei Jahre verlängert worden – möchten Sie bei Eichborn heimisch werden?
Gallenkamp: Ich bin als Sanierer geholt worden, richtig, aber dann hat es mir einfach sehr schnell großen Spaß gemacht, die Herausforderdung Eichborn am Schopf zu ergreifen und mich für diesen Verlag, mit seinen außergewöhnlich engagierten Mitarbeitern mit Herz und Verstand zu engagieren. Jetzt möchte ich gern das weiterführen, was ich begonnen habe.
Ist damit die Sanierungsphase bei Eichborn beendet?
Gallenkamp: Die erste Phase der Sanierung ist beendet: Cost-Cutting, Analyse, Neupositionierung, all das haben wir im Schnelldurchlauf hinter uns gebracht. Wir haben den Produktions- und den Herstellungsprozess standardisiert, die Titel um ein Drittel reduziert, wodurch Lektorats-, Herstellungs-, Lager- und Remissionskosten etc. gesunken sind. Und wir haben 2008 bei einem reinen Buchumsatz von 12,8 Millionen Euro 30 Prozent mehr Umsatz pro Titel gemacht.
Wie sieht denn Phase zwei der Sanierung aus?
Gallenkamp: Die besteht in der Qualitätssicherung und der kompletten Überarbeitung sämtlicher Abläufe: Welche Schnittstellen sind sinnvoll? Wer ist für welche Arbeitsschritte bis zu welcher Stufe verantwortlich? Und wer übernimmt dann? Während wir bei Phase eins extern begleitet wurden, machen wir diesen zweiten Schritt allerdings selbst.
Wie lange wird diese Phase dauern?
Dernedde: Erst einmal bis Ende des Jahres. Aber natürlich befinden wir uns in einem kontinuierlichen Prozess, der neben anderen wichtigen Zielen am Ende Reibungsverluste und damit Zeit und Kosten einspart.
Wenn man die aktuelle Herbst-Vorschau betrachtet, dann kommt der Verlag deutlich lauter daher, mit Graffiti-mäßig subversiv wirkenden Cover. Gibt es da eine neue Lust an der Provokation?
Gallenkamp: Absolut. Wir wollen – in der Gegenwart angedockt – wieder zurück zu unseren Ursprüngen. Vito von Eichborn meinte einmal: Ich verlege das, worauf ich mich verstehe: Unverschämtheiten.
Dernedde: Damit hat er die absichtsvolle Irritation des guten Geschmacks gemeint. Wir haben uns bei der Gestaltung der Vorschau bewusst für die Ideen der Agentur Jung von Matt entschieden, weil sie die Spontaneität von Eichborn verdeutlichen. Jung von Matt ist es gelungen, graphisch genau das auszudrücken, was Eichborn als Marke ausmacht. Graffiti und Sprayen sind, wie die Fliege selbst und der programmatische Ansatz des Verlages, überraschend, spontan und – auch heute noch – in Ansätzen anarchisch. Übrigens haben wir auch schon Anfragen von großen Publikumszeitschrifen bekommen, ob wir nicht bei ihnen dieselbe Werbung machen könnten wie im Börsenblatt.
Plötzlich ist auch die Fliege wieder da, auf allen Covern unübersehbar. Gehen Sie beim Logo auch wieder zurück zu den Wurzeln?
Dernedde: Die Fliege ist bei den Endkunden eindeutig als Markenzeichen verankert. Das kennt jeder. Übrigens: dies ist keine Bauchaussage, sondern – das haben wir recherchiert. Da ist es doch selbstverständlich, dass wir mit diesem eingeführten Logo weiterarbeiten.
Gallenkamp: Die Fliege ist ja ein symbolisches Zeichen: Sie ist frech, unberechenbar. Genau das ist es, was wir wollen: überraschend, mutig, frech sein, in alle Richtungen. Dafür haben wir uns Ziele gesetzt, aber auch intern Regeln gegeben. Die Fliege ist das Zentrum, von dem alles ausgeht, auch visuell: Wir haben zum Beispiel einen komplett neuen Internetauftritt, mit Podcasts und Videostreaming, mit Magazinteil usw..
Überraschen auch mit den Büchern?
Dernedde: Ja, die müssen schräger und flotter sein, dabei intelligent und überraschend, so wie Simon Borowiaks - Roman »Schade um den schönen Sex«: Der Ich-Erzähler will nicht (schade um den schönen Sex!), sein Freund darf nicht – seine Leidenschaft gilt der etwas zu minderjährigen Tochter eines Ehepaares, das auch nicht alle Tassen im Schrank hat – und die schwul-blinde Ferienbekanntschaft kann nicht... Oder mit einem politisch sehr unkorrekten und komischen Cartoonband über die Burka. Wir haben uns gefragt: Was ist heute Eichborn, was ist 2009 provokant und anarchisch? »Burka« ist es. Wir rechnen mit Protesten.
Wenn man sich die Vorschau durchblättert: Nehmen Sie da Ihre bisherigen Leser alle mit, oder vergrätzen Sie einige?
Gallenkamp: Bislang war das Credo im Haus: Wir können alles. Ich habe gesagt: Das kann gar nicht sein. Sieben Monate lang haben wir gemeinsam das Programm durchleuchtet und unsere Zielgruppen analysiert: Für wen machen wir unser Programm?, war die Frage. Jetzt wissen wir es, wir haben uns in jedem Programmbereich ein klares Profil gegeben, an welchem wir Themen und Inhalte ausrichten.
Und zu welchen Sinus-Milieus gehören die Eichborn-Leser?
Gallenkamp: Die Eichborn-Leser sind eine Schnittmenge zwischen Postmateriellen und Modernen Performern. Wobei wir in Richtung Moderne Performer denken.
Und wie sieht es bei den Lesern der Anderen Bibliothek aus?
Gallenkamp: Die gehören zu den Postmateriellen und Etablierten.
Gibt es da Veränderungen? So wie es aussieht, übernehmen Christian Ide und Lisa Neuhalfen nicht mehr die Gestaltung – warum?
Gallenkamp: Aus Kostengründen. Wir haben uns nach anderthalb Jahren dieser externen Lösung ab Oktober 2008 entschieden, die Gestaltung in Eigenregie weiterzuführen. Die Kompetenz für Ausstattung und grafische Gestaltung haben wir mit Susanne Reeh und Cosima Schneider im Haus. Mal abgesehen davon: die Eichborn-Designerinnen Christina Hucke und Christiane Hahn sind bereits seit vielen Jahren an der Gestaltung der äußeren „Schlaufen“ der Anderen Bibliothek beteiligt. Sonst gibt es keine Veränderungen, die Andere Bibliothek bleibt, die Herausgeber machen weiter.
Eichborn Berlin dagegen gibt’s nicht mehr, und Eichborn Lido ist im Katalog auch nicht mehr zu finden ...
Dernedde: Ende des Jahres 2008 haben wir die Berliner Dependance geschlossen, alle Programme werden von Frankfurt aus gemacht. Matthias Bischoff, verantwortlich für das Programm Unterhaltung, Humor & Geschenkbuch, betreut die Literatur kommissarisch, bis am 1. Juni Karsten Kredel, vormaliger Suhrkamp-Lektor als neuer Programmleiter Literatur zu uns kommt. Und aus Lido ist Eichborn Hörbuch geworden, ganz einfach, um die Marke Eichborn zu stärken.
Bischoff sitzt ja auch im Aufsichtsrat. Ist durch den Wechsel von Alexander Zang auf die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden der Streit zwischen Eichborn und Fresenius nun aus der Welt geschafft?
Gallenkamp: Ich habe bereits kurz nach meinem Antritt die Streitigkeiten entschärft. Den Zwist, den mein Vorgänger hatte, gibt es nicht mehr.
Dafür müssen Sie sich auf der anderen Seite mit Ihrem Vorgänger Matthias Kierzek juristisch auseinandersetzen, der ja noch im Clinch mit Eichborn liegt.
Gallenkamp: Mit Herrn Dr. Kierzek haben wir uns inzwischen außergerichtlich geeinigt. Ende September wird diese Auseinandersetzung de facto abgeschlossen sein.
Das heißt, alle großen Brandherde sind beseitigt?
Gallenkamp: Gott sei Dank!