Meinung: Digitalisierung II

Chaos ist nicht der beste Freund des Künstlers

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Warum das Urheberrecht erneuert und erweitert werden muss. Von Bendik Hofseth, norwegischer Komponist und Vorsitzender des Internationalen Rats der Musikschaffenden (CIAM)

Von Arnold Schönberg stammt der Satz, ohne Regeln, Grenzen sei keine Musik zu schaffen. Von der Idee, diese Grenzen zu überschreiten, lebt die Kunst. Anders als gemeinhin angenommen wird, sind absolute Freiheit und Chaos nicht die besten Freunde des Künstlers.

Ich will versuchen, diesen Gedanken auf das zu übertragen, was momentan auf dem Musikmarkt geschieht: Genauso wie das musikalische Material erst geordnet werden muss, bevor große Musik entstehen kann, muss auch der Entwicklung gesunder Geschäftsmodelle, einer kreativen Ökonomie zunächst die Ordnung durch Gesetze und Bestimmungen vorausgehen.

Der Traum und die Hoffnung aller Urheber sind eine berechenbare Rechtestruktur und darauf basierende Geschäftsmodelle. Wäre diese Grundlage vorhanden, könnten wir Urheber das tun, was wir am besten können – Musik komponieren und spielen –, in dem Wissen, dass unser Unterhalt gesichert und uns über längere Zeit Konzentration erlaubt ist. Und andere – ganz gleich, wer künftig unsere gewerblichen Partner sein werden – könnten unsere Musik auf den Markt bringen und das meiste daraus machen. Sodass die Musik ihr Potenzial als Kommunikationsmittel unserer Zeit ausschöpfen kann. Die Anarchie und das Chaos, denen wir auf den heutigen Märkten gegenüberstehen, schwächen eindeutig die Kraft der Musik.

Immer neue Technologien ermöglichen Daten-Sharing und Verbreitung sowie das Kopieren von Musik in ungekanntem Ausmaß, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Immer neue Märkte und Geschäftsmodelle versuchen Musik gratis zu vertreiben oder sie diskret in Geld umzusetzen, nach dem Motto: Feels like free – gefühlt umsonst.

Wie sollen wir als Urheber den drei fundamentalen Herausforderungen begegnen: den neuen Technologien, den neuen Märkten und den neuen Rechtsformen? Die Lösung und das Problem sind wie sooft eins. Es ist wie beim Gläschen, das man trinkt, um den Kater auszutreiben. Wir müssen neue Technologien finden, die zu unseren Gunsten arbeiten, Geschäftsmodelle fördern, die unsere Position in der Wertekette der Musikindustrie stärken oder erhalten. Und wir müssen am öffentlichen Diskurs teilnehmen und das Gespräch mit der Politik suchen, damit unsere Stimme gehört wird, wenn die Fundamente für ein neues, erweitertes Urheberrecht gelegt werden.

Außerdem ist es zur Stärkung unserer Position als Urheber unerlässlich, dass wir mit den anderen Rechteinhabern, mit denen wir uns die Rechte teilen, zusammenarbeiten: mit Verlegern, Labels, Musikern und Künstlern. Nur durch koordiniertes und konzertiertes Handeln wird es uns gelingen, unsere Rechte für die Zukunft zu sichern.

Und last not least tragen wir Urheber eine Verantwortung dafür, dass unsere kollektiven Verwertungsgesellschaften tatsächlich in unserem Sinne handeln. Sie stehen einer immensen Herausforderung gegenüber, denn sie sollen nicht mehr nur unsere Rechte verwalten, was sie bisher ausgezeichnet tun. Die kritische Situation, in der wir uns heute befinden, verlangt mehr als eine gute Verwaltung – sie verlangt neue Lösungen. Und zwar solche, die auch für Musiknutzer verdaulich sind, den Kunden der Verwertungsgesellschaften. Deshalb können wir beobachten, wie unsere Gesellschaften in ihren Herangehensweisen an die Welt marktorientierter, mutiger und erfinderischer werden.

Es gibt nirgends ein Schwert, mit dem sich der Gordische Knoten einfach durchschlagen ließe. Vielmehr scheint die Lösung in vielen kleinen Einzelschritten auf vielerlei Terrains zu bestehen. Maßnahmen gegen Piraterie, gute Geschäftsmodelle und Dienste, gestärkte, klare, international vereinheitlichte und ausgewogene Rechte, das alles muss sein, wenn wir eine gewisse Verlässlichkeit sowohl für die Verbraucher als auch für die Kunstschaffenden und die Verwerter von Kunst schaffen wollen.