Interview mit Neo Rauch

»Hineinhören in die Textströmung«

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
Maler-Star Neo Rauch hat die Umschläge für das Herbstprogramm der Frankfurter Verlagsanstalt gestaltet. Eine Bildbetrachtung in seinem Leipziger Atelier.

Wie ist es Joachim Unseld gelungen, Sie für dieses Projekt zu gewinnen? Man wird doch nicht eben mal bei Neo Rauch anrufen wie in einer Grafik-Agentur: Machen Sie uns mal ein paar Umschläge?
Neo Rauch: Wir haben uns auf Peter Doigs Ausstellungseröffnung getroffen, saßen dort an einem Tisch. Und dann war die Sache auch schon besprochen und geklärt. Er hat mich vielleicht in einem schwachen Moment erwischt, beflügelt durch die Vernissage­getränke (lacht). Situationen, in denen man nicht entrinnen kann – und am Ende auch nicht mehr will. Es ist eine Arabeske am Rande. Was nicht heißen soll, dass ich es mir damit besonders leicht gemacht hätte: Integraler Bestandteil des Projekts war natürlich auch die Lektüre der zur Debatte stehenden Bücher.

Welche Rolle spielen Arbeiten wie diese in Ihrem Schaffen? Ein Innehalten zwischen zwei großen Leinwänden? Ein Nachdenken, Sammeln?
Neo Rauch: So muss man es sich ungefähr vorstellen: eine Fingerübung zwischen zwei großen Orchesterwerken.

So manches Cover ist auf Vertreterkonferenzen gekippt worden. Ich nehme an, dass Sie hier Carte blanche vom Verleger hatten?
Neo Rauch: Das war die Ausgangslage, sonst hätte ich mich darauf wohl auch nicht eingelassen. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch mit Einschränkungen umgehen könnte – die ja gemeinhin der Kreativität eher zu- als abträglich sind. Ich habe mich davon leiten lassen, welche Zugriffsreflexe ich selbst an den Tag legen würde. Ich gehe dabei von meinen eigenen Katalogen aus; auch da lasse ich mich von der Vorstellung leiten, wie ich als Kunde in einem Museumsshop oder in einem Buchladen reagieren würde. Vorausgesetzt, ich wäre nicht auf der Suche nach etwas Bestimmtem, sondern ich ließe mich treiben: der Flaneur in der Buchhandlung. Und so habe ich mich auch hier von meinen eigenen Sehnsüchten und Neigungen leiten lassen: Wie muss ein Buch beschaffen sein, um mich neugierig zu machen?

Ja, wie?
Neo Rauch: Es sollte natürlich, ebenso wie ein gutes Bild, Signalcharakter haben. Es sollte einen vom Regal her, auch aus mehreren Metern und ungeachtet der Kleinheit seines Formats, anziehen.

Wie muss man sich den Arbeitsprozess vorstellen?
Das lief eher über Nachdenken, Hineinhören in die Textströmung, weniger über die Anfertigung unzähliger Skizzen und Entwürfe. Zu guter Letzt habe ich jedem Buch eine Art Farbteppich verschafft, auf den ich dann das Motiv legte. Die typografischen Vorschläge kamen von der Verlagsgestalterin. Ich hatte erst überlegt, ob ich die Schriften per Hand einsetze. Aber letztlich glaube ich, dass der Kontrast zwischen der sinnlichen Textur der Zeichnung und einer klaren Typografie doch reizvoller ist als der Versuch, den Anschein zu erwecken, als würde es sich hierbei um ein Künstlerbuch handeln. Was es ja nicht ist. Diese Waage wollte ich ausbalanciert haben.

In Interviews haben Sie oft über Träume als Inspirationsquelle Ihrer Arbeit gesprochen. Wie wichtig sind Lektüre-Eindrücke?
Neo Rauch: Für die Arbeit nur indirekt. Lektüre ist für mich ein Grundnahrungsmittel, das ohne bestimmte Diätvorschriften auskommt. Kann man sich einen ernst zu nehmenden Maler vorstellen, der nicht liest? Einen ernst zu nehmenden Menschen schon ...

Wie kommt die Handbibliothek hier im Atelier zustande? Sind das alte Freunde oder eher Exilierte aus dem heimischen Regal?
Neo Rauch: Was hier so herumliegt, ist mehr oder weniger dem Zufall geschuldet: Kataloge, Nachschlagewerke. Ich lese hier aber so gut wie nie, das passiert zu Haus. Hier habe ich gar keine Zeit dafür. Zwei Stunden auf der Terrasse sitzen und lesen? Es würde mir die innere Ruhe dafür fehlen, wenn in meinem Rücken die Patienten wehklagen. Was für ein Chefarzt wäre das, der sich der schöngeistigen Lektüre widmet, während die Schmerzensschreie seiner Patienten aus den Behandlungszimmern dringen? Also: Ich muss mich hier meinen Bildern zuwenden. Zu Hause lese ich.

Das Kunstwerk in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit: Ab September werden Sie in der Buchhandlung Ihres Vertrauens auf die von Ihnen geschaffenen Cover treffen. Wie geht’s Ihnen damit?
Neo Rauch: Mal sehen. Bislang bin ich ja nur die Wahrnehmung meiner Kataloge gewohnt. Das ist immer so ein scheues, schüchternes Zur-Kenntnis-Nehmen des eigenen Spiegelbildes. Ein wenig so, als würde man sich in einem Warenhaus flüchtig im Spiegel wahrnehmen. Und das geht ja nie ohne ein gelindes Erschrecken über die Bühne. Nichtsdestotrotz freue ich mich darauf, die Bücher in Händen zu halten. Gerade das ist ja das Schöne an der Geschichte: dass man etwas in der Hand hat